Geschichte
Michael Burleigh über die politischen Religionen von Jacobinern, Kommunisten und Nationalsozialisten
Adolf Hitler hasste die katholische Kirche, weil sie seine mächtige ideologische Rivalin im Kampf um die Seelen der Deutschen war - aber noch mehr bewunderte er sie wegen ihrer "Unnachgiebigkeit", ihrer "fanatischen Intoleranz" und "dogmatischen Undurchlässigkeit" für andere Weltanschauungen. Und so gab für Hitler die römische Kirche "das Modell ab für den politischen Glauben des Nationalsozialismus, der ebenfalls keinerlei abweichende Meinung oder Opposition duldete", schreibt der britische Historiker Michael Burleigh.
Die von ihm vorgelegte, über 1.200 Seiten lange Geschichte der religiös-politischen Konflikte und Bewegungen in Europa von der Französischen Revolution bis heute lässt eine wichtige Spur erkennen: Die totalitären politischen Bewegungen und Systeme des 20. Jahrhunderts - die faschistischen wie die kommunistischen - mit ihrer Unduldsamkeit, Gewaltsamkeit und ihrem Terror gegenüber politisch "Andersgläubigen", sind säkulare Abkömmlinge des jüdisch-christlichen Monotheismus - mit einer Mentalität, die nichts und niemand außer den eigenen Gott und das eigene Bekenntnis anerkennt: "Kein Heil außerhalb der Kirche."
Der jüdisch-christlich-islamische Monotheismus ist seinem Wesen nach trennend, exkludierend. Er trifft eine Scheidung der Menschen in Auserwählte und Nicht-Auserwählte, Gute und Böse, Erlöste und Unerlöste, Gläubige und Ungläubige - und das bis zum Ende der Zeiten, bis zum Jüngsten Gericht, dem Tag des Zorns, an dem Gott alle Menschen richten wird. Er wird die Erlösten, die "Schafe" von den Verdammten, den "Böcken" trennen - die einen "zum ewigen Lohn", die anderen "zur ewigen Strafe", wie Burleigh aus einer Enzyklika Papst Pius XI., gerichtet gegen die neu aufgekommenen Ideologien des Kommunismus und Nationalsozialismus, zitiert.
Das Jüngste Gericht, "dies irae", der Tag des Zorns, war durch die Jahrhunderte - und ist es heute noch - ein zentrales Dogma der katholischen Kirche. Diese Vorstellung vom schrecklichen letzten Gericht gibt es ganz ähnlich auch im Islam. Was mit solchen apokalyptischen Visionen in den Köpfen und Seelen der Menschen an Angst, Zerrissenheit, Selbstvorwürfen und Hass erzeugt wurde und noch wird, lässt sich gar nicht ermessen. Es entsteht eine Psychodynamik des Hasses, die sich für politische Ziele instrumentalisieren lässt und letztlich in Gewalt mündet; bei Burleigh finden sich dafür genug Beispiele.
"Ich hasse alle Franzosen ohne Ausnahme im Namen Gottes und meines Volkes (...) Ich lehre meinen Sohn diesen Hass. Ich werde mein ganzes Leben arbeiten, dass die Verachtung und der Hass auf dieses Volk die tiefsten Wurzeln in deutschen Herzen schlagen", verkündete der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt vor rund 200 Jahren. Und tatsächlich ging es im deutschen Befreiungskrieg gegen Napoleon nicht mehr nur um begrenzte militärisch-politische Ziele, sondern um einen "Kreuzzug und heiligen Krieg, ausgefochten von Männern, die mit einem Kreuz auf ihrer Mütze gegen die Mächte der Finsternis ins Feld zogen", liest man bei Burleigh: "Zeitgenössische Karikaturen zeigten Napoleon denn auch als Teufel."
Das war die Situation Anfang des 19. Jahr-hunderts. Und heute? Brandet da nicht auch die Hassrhetorik terroristischer Islamisten gegen das "gottlose" Amerika? Und ächtete nicht der amerikanische Präsident Ronald Reagan Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion als das "Reich des Bösen?" Was hier geschieht, ist die Einteilung der Welt in Freund und Feind, in Gute und Böse - das alte, simple, unheilvolle Muster, das die menschlichen Katastrophen gebiert; im Grunde ist es auch das Generalthema von Burleighs monumentaler Arbeit. Es geht in den zwei mal zehn Kapiteln des zweiteiligen Werks nahezu um nichts anderes: von der Schreckensherrschaft der Jakobiner bis zu den Greueln der beiden Weltkriege - von Burleigh "Apokalypse 1914" und "Apokalypse 1939-1945" genannt -, von den faschistischen und kommunistischen Diktaturen bis zu den Terroristen Nordirlands und der Al-Qaida - immer das gleiche Freund-Feind-Muster, immer die gleiche Verachtung für den "Anderen".
Michael Burleigh erzählt das alles packend, in großer epischer Breite und nie langweilig - was bei einem 1.200-Seiten-Werk nicht das Unwichtigste ist. Man merkt sofort: ein literarisch begabter Geschichtsschreiber. Schon die ersten Seiten über die Krönung Ludwigs XVI. in Reims faszinieren in ihrer bildhaften Sprachgewalt, schlagen den Leser in den Bann.
Mit zunehmender Lektüre erkennt man aber auch, dass die tief gehende Ursachen-erforschung, die scharfsinnige, kühle Analyse nicht die größte Stärke des Autors ist. Sein Blick ist zu einseitig konservativ, zu antimodernistisch. So gilt ihm der römische Katholizismus offensichtlich als unverzichtbares Bollwerk und geistiger Verbündeter bei der Abwehr von Linken und Liberalen, die Burleigh für den abendländischen Werteverfall verantwortlich macht. Dass aber die Wurzeln von Hass und Totalitarismus in der Welt auch in einer Religion wie der katholischen liegen könnten, deren Wesen zur Spaltung der Menschheit in Wahrheitsbesitzer und Nichtwahrheitsbesitzer führt, also zu Unfrieden und Zwietracht, das will Burleigh nicht wahrhaben, geschweige denn zur Grundlage seiner Untersuchung machen.
Carl Schmitt hatte schon 1932 in seiner berühmten Abhandlung zum "Begriff des Politischen" auf das grundlegende Denk- und Einstellungsmuster "Freund-Feind" hinge-wiesen, das konstitutiv nicht nur für das Politische, sondern auch für die christliche, organisierte Religion beziehungsweise Theologie sei. Solche Einteilung der Menschen, solche "Abstandnahme" mache "den unterschiedslosen Optimismus eines durchgängigen Menschenbegriffs unmöglich", meinte Schmitt.
Der Philosoph Peter Sloterdijk analysiert in seinem 2006 erschienen Buch "Zorn und Zeit" das Thema der thymotischen, also der Zorn- und Rache-Energie im Monotheismus und deutet an, wie die ursprünglich theologisch-metaphysische "dies irae"-Dramaturgie seit dem "Tod Gottes" zunehmend von irdischen politischen Akteuren wie Revolutionären und Diktatoren übernommen und als politische "Umgestaltung der Welt" durchgeführt wurde. "Wer könnte leugnen", schreibt er, "dass das maßlose Unheil des vergangenen Jahrhunderts - wir nennen allein die russischen, die deutschen und die chinesischen Vernichtungsuniversen - in den ideologischen Aufbrüchen zur Übernahme der Rache durch irdische Zornagenturen gründete."
Michael Burleigh zieht aber weder die Freund-Feind-Struktur noch die thymotische Energie der monotheistischen christlichen Religion als Erklärungsansatz für die mannigfachen Eruptionen, Gewaltexzesse und Kriege der vergangenen 250 Jahre in Europa heran. Es bleibt bei kleineren Hinweisen etwa auf die Mitverantwortung der Kirchen bei der Unterstützung der faschistischen oder autoritären Regime in Spanien, Italien, Portugal oder Kroatien.
Das lange Zeit überaus wohlwollende Verhalten des Vatikans gegenüber Mussolini wird bei Burleigh mit keinem Wort erwähnt. Dass Pius XI. wiederholt öffentlich verkündete "Mussolini wurde uns von der Vorsehung gesandt", und dass er allen Priestern Italiens befahl, zum Abschluss der täglichen Messe ein Gebet für den König und den Duce zu sprechen, auch darüber findet sich nichts bei Burleigh. Das muss man in Karlheinz Deschners "Kritischer Kirchengeschichte" nachlesen - wie überhaupt Deschner als Ergänzung und Korrektiv zu Burleigh gelesen werden sollte. Beide verwenden oft ganz unterschiedliche Quellen. Erst zusammen ergeben sie ein einigermaßen objektives Bild.
Von den genannten Einschränkungen abgesehen ist das Opus Magnum des britischen Historikers überaus lesenswert, das ist auch der hervorragenden, sprachmächtigen Übersetzung zu verdanken.
Zwei sachliche Fehler sollten aber in der nächsten Auflage beseitigt werden: Der darwinistische Mitstreiter Ernst Haeckels war nicht Aldous Huxley, sondern sein Großvater Thomas Henry Huxley. Und der Reformator Thomas Müntzer war weder ein "fanatischer Wiedertäufer", noch hat er je "aus Münster eine Art Hölle gemacht", wie man bei Burleigh liest. Thomas Müntzer hatte mit dem Täuferreich zu Münster nichts zu tun.
Michael Burleigh:
Irdische Mächte, Göttliches Heil.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008; 1.280 S., 69,95 ¤