Sanitärversorgung
Interview mit Thilo Panzerbieter - Vorstand der German Toilet Organization
Herr Panzerbieter, Sie vertreten eine Nichtregierungsorganisation, die sich mit Latrinen beschäftigt. Werden Sie manchmal verspottet?
Nicht unbedingt verspottet, aber viele müssen erst einmal schmunzeln, wenn ich sage, was ich mache. Ich erkläre es ihnen dann.
Was erklären Sie den Menschen denn?
Ich erläutere den Teufelskreis aus fehlenden sanitären Anlagen und leicht vermeidbaren Krankheiten, die dazu führen, dass Menschen nicht zur Schule oder Arbeiten gehen können. Denn der primäre Sinn von Sanitärsystemen ist ja, dass die menschliche Gesundheit geschützt wird. Und ich verdeutliche, dass Toiletten und Abwasserbehandlung ein Umweltschutzfaktor sind. Das Problem ist einsichtig, wenn man sich damit beschäftigt. Doch das tun noch zu Wenige.
Braucht jeder eine Toilette mit Spülung oder reicht ein Plumpsklo aus?
Das ist ein Kern des Problems. Anders als bei der Versorgung mit Trinkwasser gibt es bei der Sanitärversorgung starke Abweichungen bei den Gewohnheiten der Menschen. Wer auf Toilette muss, geht - im Idealfall - in einen Raum und schließt hinter sich die Tür. Was sich die Leute dort wünschen, ist sehr verschieden. Für manche ist es zum Beispiel wichtig, dass die Toilette in eine bestimmte Himmelsrichtung ausgerichtet ist. Das Thema hat also starke soziokulturelle Komponenten. Es ist nicht nur eine Frage der Würde, sondern ein Kulturgut.
Warum müssen so viele Menschen darauf verzichten?
Bei der Sanitärversorgung ist es ein bisschen so wie bei der Festmüllentsorgung: Warum soll ich für etwas bezahlen, wenn ich es hinterm Busch umsonst entsorgen kann? Dazu kommt, dass der direkte Zusammenhang zwischen Exkrementen dort drüben hinterm Busch und einer später daraus resultieren Krankheit oft nicht klar ist.
Gibt es noch andere Ursachen?
Eine große Rolle spielt, dass die Wirtschaft in diesem Sektor kaum in Gang kommt. Ich kann eher jemandem ein Glas Wasser verkaufen, denn er weiß, er braucht das, als eine Toilette. Hinzu kommt das schlechte Image dieses Ortes: Er ist mit Scham behaftet, mit Dreck. Wir brauchen also auch einen Imagewandel.
Und wie wollen Sie diesen Wandel hinkriegen?
Genau dafür wurde das diesjährige Internationale Jahr der sanitären Grundversorgung ausgerufen. Die Botschaften, die die UN dafür deklariert hat, sind, dass man die positiven Botschaften hervorhebt: Es geht um menschliche Gesundheit, um wirtschaftliche Entwicklung, um Menschenwürde, um soziale Entwicklung und Umwelt.
Wie können Lösungen zum Beispiel in Megacitys aussehen, wo die Infrastruktur deutlich langsamer wächst als die Slums?
Das erste Ziel muss Hygieneaufklärung sein. Die Antwort auf die Frage, welches das geeignetste System ist, hängt sehr vom Standort ab. Ist die Siedlungsstruktur so eng, dass kein Platz ist für eine Toilette in jedem Haus, dann muss man vielleicht an bestimmten Orten Toilettenzentren bauen. Wo es möglich ist, dass jeder Haushalt seine eigene Toilette bekommt, muss man sich die Frage nach dem System stellen. Gibt es eine Grünfläche, um den Dünger zu nutzen? Dann bietet sich eine Trockentoilette an, womit man die Fäkalien verkompostiert und den Urin als Dünger benutzt. Ist vor Ort das größte Manko, dass die Menschen keine Energieversorgung haben, dann macht es Sinn, fünf Häuser zu bündeln, die zusammen eine kleine Biogasanlage betreiben. Es gibt zahlreiche technische Möglichkeiten.
Die Wassertoilette wie wir sie haben ist also überholt?
Sie ist definitiv nicht das System der Zukunft. Man verschwendet damit eine Ressource - Wasser; unter Umständen sogar eine zweite Ressource, nämlich Fäkalien. Da liegt auch die große Chance von Sanitärsystemen der Zukunft: wegzukommen von ihrem Image, dass Menschen Fäkalien nicht nur als ein Problem sehen, dass es zu beseitigen gilt, sondern auch als ein Potenzial für Entwicklungen im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit oder erneuerbaren Energien. Wichtig ist, das Bewusstsein für diese alternativen Systeme zu erhöhen. Das würde sich lohnen, weil so neue Märkte entstehen könnten - man stelle sich die Nachfrage vor in einem Bereich, in dem 40 Prozent der Weltbevölkerung nicht versorgt sind mit einem grundlegenden Gut.
Das Interview führte Bert Schulz.
Thilo Panzerbieter (32) ist Vorsitzender der German Toilet Organization. Die Nichtregierungsorganisation setzt sich für den Zugang zu sauberen Toiletten und nachhaltigen Abwassersystemen weltweit ein.