Ballungsräume
Besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern ziehen immer mehr Menschen in die Städte. Doch ihre neuen Siedlungen können nicht mehr mit Wasser versorgt werden
Das braune Wasser der Yamuna lädt nicht zum Trinken ein. Nur während des Monsuns im Sommer füllt der Regen den sich an der indischen Metropole Delhi vorbeischlängelnden Fluss auf und vertreibt die übel riechenden Dämpfe. Kaum vorstellbar, dass viele Bewohner der Megacity ihr Trink- und Badewasser daraus abpumpen.
Vor rund 50 Jahren lebten im Stadtgebiet Delhis knapp mehr als eine Million Menschen, heute sind es in der Metropolregion geschätzte 18 Millionen. Die Infrastruktur hielt mit der Bevölkerungsexplosion nicht Schritt, besonders an den ausfransenden Rändern gilt ein Wasseranschluss als unerreichbarer Luxus. Während die Gärten in den "Gated Communities" der Bessergestellten gut bewässert sind, werden andernorts illegal Brunnen gebohrt, um Wasser zu beschaffen. "Durch die illegale Entnahme ist der Grundwasserspiegel in den vergangenen Jahrzehnten um ungefähr 20 Meter gesunken", sagt Veronika Selbach. Die Geographin von der Universität Köln untersucht seit 2005 in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt, wie die Bewohner Delhis angesichts der mit der Wasserversorgung überforderten Behörden zur Selbsthilfe greifen.
Mehr als 32.000 nicht genehmigte Brunnen gibt es laut Selbach im Stadtgebiet. Sie fördern täglich mindestens eine Milliarde Liter Grundwasser - das entspricht mehr als einem Drittel der vom städtischen Wasserversorger Delhi Jal Board eingespeisten Menge. Besonders dramatisch ist die Lage in den Armenvierteln östlich des Flusses, deren Bewohner jahrelang das kontaminierte Uferfiltrat zum Kochen und Waschen benutzten. Erst nach einer Choleraepidemie im Jahr 1988 untersagten die Behörden das Abpumpen des Wassers. "Aber bis heute fehlen Alternativen, die meisten Anwohner sind auf teures abgefülltes Wasser privater Verkäufer angewiesen - was sich kaum jemand leisten kann", erläutert Selbach. Also werde das Uferfiltrat weiter benutzt.
Fast eine Milliarde Menschen leben nach Angaben der Vereinten Nationen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser, rund 2,6 Milliarden müssen ohne minimale sanitäre Einrichtungen auskommen. Im Jahr 2000 formulierte die UN das ehrgeizige Milleniums-Entwicklungsziel, bis 2015 die Zahl der Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser zu halbieren. Ob dies erreicht wird, hängt erheblich davon ab, ob die Versorgung der in Großstädten lebenden Menschen gelingt. Im Jahr 2008 wird es erstmals mehr Städter als Landbewohner geben. Besonders in den Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens und Afrikas ist die Stadtbevölkerung rapide gewachsen. Allein in China gibt es inzwischen fast 100 Millionenstädte, weltweit mehr als 400. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Mexiko-Stadt, New York und Tokio die einzigen Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern, heute existieren bereits 20 solcher Megacities.
In Bezug auf Wasser ähneln sich die Probleme der Metropolen: Durch die starke Nutzung sinken die Grundwasserspiegel - in manchen urbanen Regionen um mehr als einen Meter jährlich. Wegen fehlender oder unzulänglicher Leitungssysteme kann nicht genug Wasser in die Städte transportiert werden. Ungeklärte Industrie- und Haushaltsabwasser belasten die Wasserqualität. Wegen des verschmutzten Wassers verbreiten sich Krankheiten wie Durchfall, Rheuma, Gicht oder Hautausschläge.
Zu den rasant wachsenden Ansiedlungen gehört auch das südchinesische Perlfluss-Delta. Nachdem die Region Mitte der 1980er-Jahre zur offenen Wirtschaftszone erklärt wurde, lockte sie Millionen chinesischer Migranten an. Heute drängen sich auf einer Fläche von 42.000 Quadratkilometern etwa 48 Millionen Menschen. Zentrum dieser "World Factory" ist Kanton (Guangzhou) mit rund elf Millionen Einwohnern. "Das unkontrollierte Wachstum und die immense Dynamik sind die größten Probleme", sagt Ramona Strohschön, die im Rahmen des DFG-Programms "Megacities - Megachallenge" die Wasserversorgung der Metropole untersucht. In mehreren Vierteln überprüfte Strohschön das Leitungs-, Grund- und Oberflächenwasser - und fand stark erhöhte Konzentrationen krankheitserregender Colibakterien. Bislang werden nur 70 Prozent der Industrieabwässer Kantons gereinigt, bei häuslichen Abwassern sind es sogar nur zehn Prozent, sagt die Geografin von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Da Trinkwasserleitungen direkt durch Abwassergräben führten, bestehe die Gefahr einer Vermischung. Die Bevölkerung wisse oft nicht um die gesundheitliche Bedrohung, sagt Strohschön. "Die Leute kochen nur das Leitungswasser ab, das Grundwasser halten sie für sauber."
Um die Wasserproblematik in den überfüllten Metropolen zu lösen, reichen isolierte technische Maßnahmen wie der Bau von Kläranlagen oder moderner Leitungssysteme nicht aus, davon ist auch Lena Partzsch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig überzeugt. "Man muss das jeweilige sozio-ökonomische Umfeld einbeziehen", sagt die Politologin, die an dem vom Bundesministerium für Forschung getragenen Projekt "Water 2050" mitarbeitet. Entwicklungsländer etwa benötigten zur Wasserspeicherung nicht nur Hightech-Filter, sondern einfach zu bedienende Werkzeuge wie Pumpen oder Regenwassertonnen.
Das Betreiben kleiner landwirtschaftlicher Flächen gilt als vielversprechende Möglichkeit zum besseren Speichern von Wasser in Städten, in denen Regenwasser wegen der vielen betonierten Flächen zu schnell abfließt und für die Nutzung verlorengeht. "Doch in einem Slum ist oft kein Platz für urbane Landwirtschaft", gibt Partzsch zu bedenken. Hier kann Wasser oft nur durch Verkauf bereitgestellt werden - wie in den Wasserkiosken, die die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Sambia unterstützt. Der Verkauf von Wasser an die Armen sorgt jedoch immer wieder für Protest. Kritiker fordern, den freien Zugang zu Wasser zum Menschenrecht zu erklären - gegen den Widerstand von Konzernen wie den französischen Großunternehmen Suez und Véolia, denen das Geschäft mit dem Lebenselixier jährlich zweistellige Milliardenumsätze beschert. Bis zum Jahr 2010 soll der internationale Wassermarkt ein Volumen von 400 Milliarden Euro erreicht haben.
Bei der Wasserversorgung der Großstädte setzt die Politik weiter auf privat-öffentliche Partnerschaften, in denen Wirtschaftsunternehmen Teile der Dienstleistungen übernehmen. Das Konzept steht zunehmend in der Kritik: Laut einer Studie des UN-Instituts für Soziale Entwicklung meiden private Investoren arme Regionen - genau diejenigen also, die eine adäquate Wasserversorgung dringend brauchen. Unter dem Profitstreben der Konzerne könne zudem die Wasserqualität leiden, befürchtet Politologin Lena Partzsch.
Die Probleme der Megacities werden sich, so Partzschs Prognose, in Zukunft verschärfen: "Die Entwicklung verläuft zu schnell, als dass die Initiativen greifen könnten. Immer mehr Menschen siedeln in risikoreichen Gebieten wie Müllkippen oder auf kontaminiertem Gelände. Wie soll man da Leitungen bauen?"