Wasserkraft
An Europas Bächen und Flüssen sind die Potenziale zur Stromgewinnung fast ausgeschöpft. Nun richtet sich der Blick auf die Meere
Der Führungswechsel fand im Herbst 2003 statt - in jenen Wochen überflügelte die Windkraft in Deutschland die Wasserkraft, die im Stromsektor bisher die wichtigste regenerative Energie gewesen war.
Eine Rückkehr der klassischen Wasserkraft an die Spitze ist in Deutschland ausgeschlossen, denn ihr Potenzial ist weitgehend ausgeschöpft. Ausbaumöglichkeiten gibt es kaum - das größte Projekt ist der Neubau des Kraftwerks Rheinfelden am Hochrhein. An diesem Standort, flussaufwärts von Basel gelegen, wird 2011 ein neues Laufwasserkraftwerk die bestehende historische Anlage ersetzen und somit die jährliche Stromproduktion von 185 Millionen auf 600 Millionen Kilowattstunden steigern. Ansonsten sind die Möglichkeiten, am Rhein zusätzliche Erträge zu erzielen, gering. Der Abschnitt zwischen Bodensee und Karlsruhe - jener Teil also, der über ausreichendes Gefälle verfügt - ist mit 21 großen Wasserkraftwerken bereits gut genutzt.
Auch an den anderen heimischen Fließgewässern ist das Zubaupotenzial überschaubar. So ließen sich durch Modernisierung bestehender Kraftwerke rund 1,5 Milliarden Kilowattstunden zusätzlich erzeugen, durch Neubauten nochmals 5 Milliarden. Der Vergleich zur derzeitigen Jahresproduktion von rund 20 Milliarden Kilowattstunden zeigt, dass der Großteil der Wasserkraft bereits erschlossen ist.
Da in Europa insgesamt die Möglichkeiten der klassischen Wasserkraft zu 75 Prozent ausgeschöpft sind, richtet sich der Fokus zunehmend auf die anderweitige Nutzung strömenden Wassers - und zwar auf die maritimen Kräfte: Meereswellen, Meeresströmungen und Gezeiten.
Der Klassiker dieses Genres steht in der Bretagne: Das Gezeitenkraftwerk bei St. Malo, in den 1960-er Jahren errichtet, ist das größte seiner Art weltweit. An seinem Standort, der Mündungsbucht des Flusses Rance, herrschen Bedingungen, wie man sie nur an wenigen Orten der Erde findet: Der Höhenunterschied zwischen täglichem Hoch- und Niedrigwasser liegt im Mittel bei 14 Metern. Aus diesen Schwankungen des Wasserstandes gewinnt man dort eine Leistung von 240 Megawatt, etwa ein Viertel eines Atomkraftwerks. Nachahmer gibt es bisher kaum: Man findet sie in Kanada, China und Russland, doch über 20 Megawatt kommen die Anlagen in diesen Ländern bisher nicht hinaus.
Ein Großprojekt ist unterdessen in Großbritannien in der Diskussion: Im Bristol-Kanal soll ein neues Gezeitenkraftwerk errichtet werden, das jährlich 17 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen soll, und damit fünf Prozent des britischen Strombedarfs decken könnte. Ein 16 Kilometer langer Damm müsste dafür in der Severn-Flussmündung errichtet werden. Umweltverbände warnen: Das 20 Milliarden Euro teure Großbauwerk in einer ökologisch wertvollen Küstenregion würde Fauna und Flora massiv beeinträchtigen. Organisationen wie der britische Vogelschutzbund argumentieren, dass es erheblich umweltschonendere Möglichkeiten der Gezeitennutzung gebe, etwa mittels künstlicher Lagunen.
Trotz einzelner Projektideen dürfte die Zahl der Gezeitenkraftwerke an den Küsten überschaubar bleiben. In weitaus größerer Zahl gibt es Standorte auf See, an denen die Meeresströmung genutzt werden kann, die sich durch Ebbe und Flut ergibt. Die erste Anlage dieser Art ging im Jahr 2003 vor der Küste der englischen Grafschaft Devon in Betrieb. Sie sieht aus wie ein Windrad unter Wasser: Der zweiflüglige Rotor hat einen Durchmesser von elf Metern und erreicht eine Leistung von 300 Kilowatt.
Künftige Anlagen werden noch etwas leistungsstärker sein. Im nordirischen Strangford Lough soll ein Strömungskraftwerk mit zwei Rotoren von jeweils 600 Kilowatt entstehen. In deutschen Küstengebieten wird die Technik zwar kaum einsetzbar sein, weil die Strömungsverhältnisse hier nicht geeignet sind. Doch Großbritannien könnte zehn bis 20 Prozent seines Bedarfs an Elektrizität aus der Meeresströmung decken.
Das größte Potenzial unter den maritimen Energien hat unterdessen die Wellenkraft. Nach Schätzungen der Internationalen Energie-Agentur können bis zum Jahr 2025 weltweit pro Jahr mehr als 2.000 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Wellenkraft zu wirtschaftlichen Preisen erzeugt werden. Das entspricht etwa zehn Prozent des weltweiten Stromverbrauchs.
Doch die Kraft der Wellen bringt auch Probleme; zahlreiche Prototypen schwimmender Wellenkraftwerke wurden in der Vergangenheit durch die raue See zerstört. Erfolgversprechender sind daher Anlagen an der Küste. Ein solches Kraftwerk mit einer Leistung von 500 Kilowatt wurde im Jahr 2000 von der Firma Wavegen auf der schottischen Insel Islay errichtet. Der entscheidende Vorteil dieser Technik liegt darin, dass die Turbinen nicht vom Wasser selbst angetrieben werden, sondern von Luftbewegungen, die in Schächten durch die Auf- und Abwärtsbewegungen des Wassers entstehen.
Diese Technik weckt inzwischen auch das Interesse der Technologie-Konzerne: Die Firma Voith Siemens Hydro hat inzwischen die Firma Wavegen aus Inverness übernommen. Voith will die Technik nun auch in Deutschland einsetzen - die Planungen für ein Kraftwerk an der Nordseeküste sind bereits weit fortgeschritten. Vor allem Hafenmolen gelten als attraktive Standorte: Sind dort ohnehin Bauarbeiten nötig, können die Kosten des Kraftwerksbaus erheblich gesenkt werden.
Der Autor arbeitet als Umweltjournalist in Freiburg.