Knappe Ressource
Es gibt genug Wasser für alle. Dennoch ist es für viele Menschen unerreichbar
Der Aufregungspegel in den Debatten der demokratischen Öffentlichkeit steht oft sehr hoch. Gerade, wenn es um Umweltprobleme weltweiter Dimension geht, scheint die Uhr permanent fünf Minuten vor Zwölf zu zeigen. Seit Nicholas Stern im Auftrag der britischen Regierung 2006 seinen Klimareport veröffentlichte, haben wir uns daran gewöhnt, mit dem bevorstehenden Kollaps des Weltklimas zu leben. Ob diese Prognosen belastbar gewesen sind, wird man niemals erfahren - schließlich verhindert das politische Handeln, dass sie eintreffen.
Aber nicht nur beim Klima setzen sich die globalen Politikeliten unter Handlungs- und Zeitdruck. Ein anderes der immer wieder heiß diskutierten Aufregerthemen ist der globale Wassermangel. Nicht nur unter Globalisierungskritikern kursieren dramatisch anmutende Schaubilder, die belegen, wie immer größere Weltregionen zu Notstandszonen mutieren, in denen die Versorgung der Menschen mit Trinkwasser nicht mehr sichergestellt sei. Um 1950, so die Botschaft, betraf Wasserknappheit nur Nordafrika und höchstens noch den Sudan. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte sich die Gefahrenzone demnach schon ausgeweitet auf den Nahen und Mittleren Osten, Indien und Südostasien. Und um 2025 würden durch die Klimaerwärmung und das Bevölkerungswachstum rund zwei Milliarden Menschen in Gegenden leben, in denen absoluter Wassermangel herrsche.
Der damit verbundene Eindruck, auf dem Globus sei zu wenig Wasser vorhanden, um acht Milliarden Menschen zu ernähren, aber ist falsch. Katastrophenstimmung scheint fehl am Platze. Denn eigentlich ist Wasser nicht knapp. Die Menge des Süßwassers reicht aus, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen.
Es wäre auch falsch, Süßwasser als globales öffentliches Gut analog zum intakten Klima zu betrachten, bei dem man Umweltgerechtigkeit durch eine möglichst gleiche Verteilung unter allen Erdenbürgern erreichen könnte. Um erstens die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen und gleichzeitig allen Menschen ähnliche Entwicklungschancen zu eröffnen, müssten die Deutschen ihren Ausstoß von Kohlendioxid pro Kopf und Jahr von heute durchschnittlich zehn Tonnen auf etwa eine Tonne reduzieren - dies setzt sich mittlerweile als politisches Fernziel durch. Eine solche Nivellierung hätte beim Wasser jedoch keinen Sinn. Den Menschen in Afrika oder dem Nahen Osten stünde nicht mehr Wasser zur Verfügung, wenn in den alten Industriestaaten weniger verbraucht würde.
Die Gründe liegen auf der Hand. Erstens sind die Süßwassersysteme der Weltregionen, in denen Überfluss oder Mangel herrscht, nicht miteinander verbunden. Zweitens existiert keine vernünftige technische Möglichkeit, eine Verbindung herzustellen. Dicke Rohrleitungen über tausende Kilometer zu bauen oder riesige Tanker über die Meere zu schicken, ist nach heutigen Maßstäben schlicht zu aufwändig und zu teuer. Und es hat auch keinen Sinn. Denn Wasser ist ein re- gionales Gut. Es ist in allen Weltregionen vorhanden - wenn auch in unterschiedlicher Menge.
Da erscheint es hilfreich, die Situationsbeschreibung noch weiter zu entdramatisieren. Dass es zu Kriegen um Wasser kommt, ist eher unwahrscheinlich. "Bewaffnete Auseinandersetzungen, bei denen es explizit um Wasser zwischen Staaten ging, hat es vielleicht vor 4.500 Jahren in Mesopotamien mal gegeben", sagt Franz-Josef Batz von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Aber in der jüngeren Vergangenheit sind keine kriegerischen Konflikte bekannt, die vornehmlich oder ausschließlich um den Zugang zu Seen oder Flüssen geführt wurden. Auch in Zukunft ist damit nicht zu rechnen. "Umgekehrt wird ein Schuh daraus", sagt Wasser-Spezialist Batz, "Wasser wirkt als Katalysator für Kooperation zwischen Staaten." Als Beispiel nennt er Pakistan und Indien, die selbst zu Zeiten der härtesten Konflikte ihre Verhandlungen über den Zugang zum Wasser des Flusses Indus nicht ruhen ließen.
Das richtige Motto lautet also: Entspannung, ohne die Probleme zu ignorieren. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen hat heute fast eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mehr als zwei Milliarden Menschen fehlen annehmbare Sanitäreinrichtungen. Die Folge: Vermutlich sterben jedes Jahr etwa fünf Millionen Menschen an Krankheiten, die mit fehlendem oder schlechtem Wasser zusammenhängen. Um diesen Missständen abzuhelfen, streben die UN an, die Zahl der Menschen ohne ausreichenden Wasserzugang bis 2015 zu halbieren.
Meist besteht die Schwierigkeit nicht in der grundsätzlichen Verfügbarkeit der Ressource Wasser. Auch in trockenen Weltregionen ließe sich mit Hilfe von Kanälen, Brunnen, Zisternen, Stauseen, funktionierenden Leitungen, Lkw und Kiosken das Wasser zu den Menschen bringen, wenn man es denn richtig anstellen würde. Nicht die grundsätzliche Verfügbarkeit, sondern der Zugang zum Lebensmittel Wasser ist das Problem.
Das Zentrum der Krise liegt in Afrika. Mitunter sind die Frauen stundenlang unterwegs, um Wasser vom nächsten Brunnen oder Fluss in Kanistern nach Hause zu transportieren. Die Menge reicht oft nicht aus, um genug Nahrungsmittel herzustellen, die schlechte Qualität bedroht die Gesundheit der Menschen. Existieren öffentliche oder private Systeme der Versorgung, liefern sie oft mangelhafte Dienstleistungen. Mitunter versickert mehr Wasser aus maroden Leitungen im Boden, als bei den Nutzern ankommt. Wenn nur 20 bis 30 Prozent des transportierten Wassers verlorengehen, ist das schon eine vergleichsweise gute Leistung. Unter anderem wegen ihrer schlechten Infrastruktur erwirtschaften viele öffentliche Versorger weit geringere Erlöse, als sie bräuchten, um ihre Netze auszubauen. Die Kunden in den Slums sind dann oft auf die teils mafiösen Händlersysteme des informellen Sektors angewiesen, die im Vergleich zu öffentlichen Systemen den zehnfachen Preis verlangen.
So ist es eine komplexe Aufgabe, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in armen Ländern zu entwickeln und aufzubauen. "Man muss den Wassersektor insgesamt organisieren", sagt GTZ-Spezialist Batz. Mit dem Bau von Brunnen und Leitungen ist es keineswegs getan, die moderne Wasserpolitik wählt einen systemischen Ansatz.
Der Gesetzgeber muss sich beispielsweise entscheiden, ob die Wasserversorgung öffentlich, privat oder in einem bestimmten Mischverhältnis von beidem organisiert werden soll. Eine weitere Herausforderung der Regulierung besteht darin, eine wirksame Aufsicht über die Unternehmen zu etablieren. Die öffentliche Kontrolle kann sicherstellen, dass die Versorger ihre Gewinne nicht missbrauchen, indem sie Pfründe an wichtige Einflussgruppen verteilen. Stattdessen muss der regulatorische Rahmen so beschaffen sein, dass die Unternehmen ihre Netze tatsächlich ausbauen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Einrichtung eines wirksamen Inkassowesens, damit bei den Kunden gar nicht erst der Eindruck aufkommt, sie könnten die Wasserdienstleistung in Anspruch nehmen, ohne dafür zu bezahlen.
Von zentraler Bedeutung ist der Preis. Meist ist er ein politischer, der auch im öffentlichen Interesse festgelegt wird. Liegt er zu niedrig, besteht für die Unternehmen zu wenig Anreiz, zusätzliche Stadtgebiete und Siedlungen an das Netz anzuschließen. Ist die Versorgung hingegen zu teuer, kommt es zu Konflikten hinsichtlich des Ziels der Armutsreduzierung und Entwicklung. Fast immer gilt es, die richtige Balance zwischen der öffentlichen Finanzierung einerseits, sowie den Nutzungsgebühren andererseits zu bestimmen. Dabei kann es unter Umständen ratsam sein, so genannte Block-Tarife einzuführen, bei denen eine Basisversorgung zu sehr niedrigen Preisen gewährleistet wird.
So ist es ebenfalls keine Katastrophe, dass Wasser grundsätzlich einen Preis hat. Denn auch arme Menschen sind Marktteilnehmer, die Geld für Produkte und Dienstleistungen ausgeben können und wollen. Es kommt auf die Höhe der Preises an. Sie entscheidet darüber, wer heute und in Zukunft Zugang zu der verfügbaren Ressource Wasser erhält.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.