Wasser als Ware
In den 1990er-Jahren galt die Privatisierung von Versorgern als Allheilmittel. Sie endete oft desaströs
Jeden Tag versickern in London 700 Millionen Liter Trinkwasser in der Erde, der Grund sind Lecks des maroden Leitungsnetzes. Dass etwa 30 Prozent des Wassers zwischen Wasserwerk und -hahn verloren gehen, beunruhigt die britischen Umweltschutzbehörden, denn die Zahl der Dürren in Südengland nimmt seit einigen Jahren deutlich zu. Doch beim privaten Versorgungsunternehmen Thames Water fand man es bisher preiswerter, die Wasserverluste in Kauf zu nehmen, statt aufwändig das Leitungsnetz zu erneuern. Annähernd ein Drittel der Hauptleitungen stammt noch aus der Zeit Königin Viktorias.
Dabei hat Thames Water in den 1990er-Jahren hohe Gewinne ausgewiesen - ein Ergebnis der völligen Vernachlässigung von Wartungs- und Erneuerungsarbeiten trotz stark steigender Wasserpreise. Den Aktionären des Vesorgers lag an kurzfristigen Gewinnen, das Management erfüllte diese Erwartungen. Das rächt sich jetzt mit Umweltstrafen in Millionenhöhe und hohen Kosten für Investitionen.
Ganz anders die Situation in Hamburg. Das Leitungsnetz des städtischen Unternehmens Hamburg Wasser stammt ebenfalls ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert, wurde aber kontinuierlich modernisiert. Die Wasserverluste zwischen Wasserwerk und -hahn betragen drei bis fünf Prozent. Die Preise sind nur sehr moderat gestiegen, trotzdem erhält die Stadt Hamburg jedes Jahr eine Gewinnausschüttung in zweistelliger Millionenhöhe.
Die meisten der fast 6.500 oft kleinen Wasserwerke in Deutschland werden von Kommunen und Landkreisen betrieben. Auch ihre Bilanzen sind meist positiv: Sie arbeiten effizient und liefern Trinkwasser von hoher Qualität. Ähnlich gut sind die Leistungen der kommunalen Abwasserbetriebe; das dezentrale Netz von kommunaler Wasserversorgung und Abwasserentsorgung hat sich insgesamt bewährt.
Dennoch war die Privatisierung in London kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren wurden vielerorts Wasserwerke an private Betreiber übertragen. Manche deutschen Kommunen wie Berlin Ende der 1990er-Jahre wollten mit dem Verkauf ihre Schuldenlast mindern. Zudem wurde häufig der These vertraut, private Betreiber seien stets effizienter und deshalb kostengünstiger als kommunale Betriebe. Vorreiterin dieser Position war die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die 1989 die Wasserversorgung in London und im übrigen England sowie Wales privatisieren ließ. Wie sich herausstellte, zum (anfänglichen) Nutzen der neuen Eigentümer und zum Schaden der Bevölkerung, die sich mit steigenden Preisen und schlechteren Leistungen konfrontiert sah.
Die Gegenposition lautet, dass Wasser ein gemeinsames Gut der Menschheit ist. Es ist existenziell für das Leben und sollte nicht privaten Gewinninteressen unterworfen werden. Verfechter dieser These setzen sich dafür ein, dass das Recht auf Wasser als Menschenrecht anerkannt wird. In den bisherigen UN-Menschenrechtspakten ist das nicht explizit aufgeführt. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte kam aber 2002 in einem "Allgemeinen Kommentar" - einer Interpretation des Völkerrechts - zu dem Ergebnis, dass ein Recht auf Wasser besteht, weil andere Menschenrechte wie jenes auf Gesundheit nicht ohne den Zugang zu sauberem Trinkwasser verwirklicht werden können.
In Ländern wie Südafrika, wo das Recht auf Wasser in der Verfassung anerkannt wird, ist eine ausreichende Versorgung zwar nicht sicher gestellt. Aber die Bürger haben größere Aussichten, ihre Ansprüche durchzusetzen. So veranlasste der Unmut der Bevölkerung über die Kluft zwischen Verfassungsanspruch und -wirklichkeit die Regierung, jeder Familie 6.000 Liter kostenloses Wasser pro Monat zu garantieren. Außerdem investierte sie in den vergangenen Jahren viel Geld, sodass nun der weitaus größte Teil der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser und einer sanitären Entsorgung hat. Das verbriefte Menschenrecht auf Wasser war zudem ein gewichtiges Argument für die Gegner der Privatisierung - mit dem Ergebnis, dass in den vergangenen Jahren in Südafrika kein einziger Privatisierungsversuch unternommen wurde.
In den 1990er-Jahren hatten die Privatisierungs-Befürworter weltweit eine starke Position und erreichten auch dank der Unterstützung durch die Wirtschafts- und Entwicklungsministerien vieler Länder sowie der Weltbank, dass der private Anteil an der Wasserversorgung international auf mehr als zehn Prozent stieg. Marktführer waren und sind die beiden französischen Konzerne Suez und Veolia, die jeweils in mehr als 100 Ländern tätig wurden. Der deutsche RWE-Konzern fürchtete Ende der 1990er-Jahre angesichts der Liberalisierung des Strommarktes einen Gewinneinbruch und investierte Milliarden, um als Ausgleich am Geschäft mit dem "blauen Gold" zu partizipieren. Dafür erwarb er unter anderem im Jahr 2000 die englische Gesellschaft Thames Water.
Im Süden der Welt bot der marode Zustand vieler städtischer Wasserversorgungssysteme den Anlass, eine Privatisierung zu fordern. Von Jakarta bis Buenos Aires propagierte vor allem die Weltbank die Übernahme des Eigentums oder doch zumindest des Managements. Nicht selten wurde massiver Druck ausgeübt: Tansania musste 2005 die Wasserbetriebe der Millionenstadt Dar es Salaam privaten Betreibern übertragen, um Weltbank-Kredite zu erhalten.
In vielen Ländern auf der Südhalbkugel endete das private Engagement jedoch desas-trös. Die Unternehmen mussten feststellen, dass der Investitionsbedarf riesig, die Kaufkraft selbst in den größeren Städten aber so begrenzt war, dass oft Millionenverluste entstanden. Zudem hatten Behörden und Bevölkerung in Ländern wie Südafrika größte Vorbehalte gegen die Privatisierung. Diese breite Ablehnungsfront machte jeden Erfolg fast unmöglich.
In Dar es Salaam waren die Leistungen der privaten Betreiber so unzureichend, dass die tansanische Regierung im Januar 2008 von einem Londoner Gericht eine Entschädigung von 3 Millionen Pfund zugesprochen bekam. In Cochabamba in Bolivien brach nach starken Erhöhungen des Wasserpreises durch den privaten Betreiber ein Aufstand der Bevölkerung aus. Die Regierung sah sich 2005 gezwungen, den Vertrag mit dem US-Konzern Bechtel zu kündigen.
Auch in Deutschland stößt die Privatisierung der Wasserwerke seit einigen Jahren auf Widerstand. In Hamburg wurde mit einem Volksentscheid eine Übernahme der Wasserwerke durch private Betreiber unterbunden. Auch in kleineren Kommunen wie Rüsselsheim konnten Bürgerinitiativen eine Privatisierung verhindern. Es gibt auch keinen wissenschaftlichen Beleg für die Behauptung, dass private Wasserbetreiber in Deutschland effizienter arbeiten als kommunale. Wo privatisiert wird, hat dies meist den Grund, die städtischen Schulden zu mindern - meist ein kurzzeitiger Effekt.
Auch global hat sich die Einschätzung der Privatisierungspolitik verändert. Selbst die Weltbank und die großen Wasserkonzerne haben eingesehen, dass solche Maßnahmen sich nicht gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung durchsetzen lassen. Außerdem entwickelte sich der Traum vom schnellen Wassergeld nicht selten zu einem Albtraum von finanziellen Verlusten und Imageschäden. RWE hat sich inzwischen weitgehend aus dem internationalen Wassergeschäft zurückgezogen und Thames Water wieder verkauft. Die Konkurrenten Veolia und Suez haben ihr Engagement in Afrika, Lateinamerika und Asien - mit Ausnahme von China - drastisch reduziert.
Sind private Akteure im Wassersektor also überflüssig? Nicht ganz. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass viele meist kleine und mittelständische Unternehmen im Auftrag kommunaler Wasserbetriebe zu einer leistungsfähigen Wasserversorgung beitragen. Im Süden der Welt kann eine solche Kooperation der dringend erforderlichen Ausweitung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung nutzen. Angesichts von fast einer Milliarde Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser können lokale und zum Teil auch international tätige private Unternehmen viel Know-how einbringen. So steigen die Aussichten, dass das Recht aller Menschen auf eine ausreichende Menge sauberen Trinkwassers verwirk- licht wird.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Hamburg.