Landwirtschaft
Sie verbraucht 70 Prozent des Wassers. Weltweit arbeiten Forscher an Sparmodellen
Mitte Juni konnte man das tausendfache Aufatmen fast hören. Die Landwirte im Norden und Osten Deutschlands sahen den ersten Regen seit Wochen auf ihre Felder niederprasseln. Der Teufelskreis, der zuverlässig zu massiven Ernteausfällen führt, war erst einmal durchbrochen.
Woraus er sich zusammensetzt, das hatten europäische Bauern 2003 erfahren. Schon das Frühjahr war außergewöhnlich warm und trocken gewesen, was folgte, war ein beispiellos heißer und dürrer Sommer. Ausgetrocknete Böden schon im Frühjahr lassen nicht nur die Saat schlechter wachsen, sie heizen das regionale Klima auch weiter auf, weil der Kühlungseffekt des aus der Erde verdunstenden Wassers fehlt. Die Hitze lässt die Böden weiter ausdorren. Wird die kühle Dusche nicht per Tiefdruckgebiet von oben geliefert, dreht sich die Spirale ins Extreme.
Verschiedene Klimamodelle sehen nicht nur für Mitteleuropa mehr Hitze- und Dürrewellen in den kommenden Jahrzehnten voraus. Wahrscheinlich werden vor allem die Weltgegenden, die schon heute mit wenig Wasser auskommen müssen, in Zukunft noch weniger zur Verfügung haben. Allgemein sind die Prognosen düster für eine Welt mit stetig wachsender Bevölkerung, in der schon ohne diese möglichen Folgen des Klimawandels Nahrungsmittel knapp und immer teurer werden.
Weltweit fließen etwa 70 Prozent des von Menschen genutzten Süßwassers in die Landwirtschaft. Die Aufgabe, der sich Agronomen, Pflanzenzüchter, Agrarpolitiker und vor allem Landwirte in vielen Teilen der Welt derzeit gegenübersehen, lautet, mit weniger Wasser bessere Erträge erzielen zu müssen. Und das bisher nicht effektiv genutzte Wasser besser einzusetzen. "More crop per drop" lautet der eingängige Slogan. Auf einer seiner letzten Afrikareisen forderte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan eine neue Grüne Revolution, sein Nachfolger Ban Ki-moon tat es ihm jüngst gleich. Mit welchen Waffen diese Revolution bestritten werden soll, wie "mehr Ertrag pro Tropfen" zu erzielen ist, darüber herrscht alles andere als Einigkeit.
Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy etwa möchte am liebsten zunächst den Ländern seiner neu gegründeten Mittelmeerunion und dann dem Rest der trockenen Welt französische Atomkraftwerke verkaufen. Sie sollen die immensen Energiemengen liefern, um Meerwasser zu entsalzen.
Andere Megaprojekte wie Staudämme oder Kanalsysteme sind realistischer. Doch brauchen große Wasserprobleme auch großformatige Lösungen? Im technologiegläubigen Indien scheint man dieser Meinung zu sein. Schon in diesem Jahr könnten die ersten von etwa 30 Kanalprojekten auf den Weg gebracht werden. Ziel ist es, die feuchten mit den trockenen Gegenden des Landes zu verbinden.
Das größte Planungsproblem sind nicht die monetären Kosten, sondern jene für die Umwelt. Sie sind nicht abzusehen. Es gibt kaum wissenschaftliche Daten oder zuverlässige Modellrechnungen. Das Großprojekt könnte, so verlautbarte die Nationale Wasserentwicklungsagentur, Hunderttausende von ausgedorrten Hektaren in fruchtbares Ackerland verwandeln und gleichzeitig die jährlichen Überflutungsschäden an Ganges und Brahmaputra deutlich reduzieren.
Es würde sich vielleicht aber auch als "selbstmörderisch erweisen", sagte der Geologe Vedaraman Rajamani von der Nehru-Universität in Delhi dem Wissenschaftsmagazin Nature. Ein derartiger Eingriff könnte den Monsun-Zyklus, von und mit dem Indien seit Menschengedenken lebt, durcheinanderbringen.
Ob es wirklich passieren wird, weiß niemand. Die Datenlage für den Wasserwandel ist etwa im Vergleich zu der den Klimawandel betreffenden noch weitaus schlechter. Wo ist Wasser? Und wie viel? Und wann? Wie verhält es sich im Boden, im Gestein, in der Atmosphäre? Wohin fließt es? Wie wird es genutzt? Wo geht es verloren und wie viel davon? Was sind die Folgen von Eingriffen in hydrologische Systeme? Die indischen Wasserplaner und viele ihrer Kollegen weltweit planen auf wissenschaftlich wackeligem Fundament.
In Australien versucht man derzeit, das Datensammeln unmittelbar an ein neues Wassermanagement-System zu koppeln. Das Land durchlebt gerade die schlimmste Trockenperiode seit seinem Bestehen. In den vergangenen Jahren fielen nur 25 Prozent der langjährig durchschnittlichen Regenmenge. Und Klimamodelle prognostizieren, dass der jährliche Niederschlag sich bis Mitte des Jahrhunderts noch einmal fast halbieren könnte. Neue Riesenstaudämme erscheinen, wenn es nichts zu stauen gibt, als schlechte Option. Der hydrologische Imperativ heißt hier: messen, sparen und richtig verteilen. Das versuchen sowohl die Regierung in Canberra als auch ein paar auf dem Trockenen sitzende Farmer.
Die Coleambally Irrigation Initiative zum Beispiel, ein Zusammenschluss von mehr als 300 Farmern, deren Felder durch ein etwa 500 Kilometer langes Kanalsystem miteinander verbunden sind. Mehr als 10 Millionen Euro hat die Genossenschaft in den vergangenen Jahren investiert, unter anderem in ein Monitoring-System, das mit Sensoren Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten misst, Lecks entdeckt, Schleusen automatisch öffnet und schließt. Die geschätzten 30 bis 40 Prozent Wasser, die australischen Farmern durch Lecks, Verdunstung, technische Fehler und dergleichen verloren gehen, hofft der Chef der Genossenschaft, Murray Smith, mit diesem modernen Wünschelroutensystem auf ein Minimum reduzieren zu können. Doch wenn die klimatischen Prognosen sich bewahrheiten, wird auch das Australiens Landwirtschaft nicht retten.
Eine Alternative sind Kulturpflanzen mit weniger Wasserbedarf. In Australien wird auf riesigen Flächen Reis angebaut. Durstiger geht es kaum. Ein anderer Ansatz wäre es, Pflanzen so zu züchten, dass ihnen Dürre weniger ausmacht - oder sie gentechnisch entsprechend zu verändern. An Letzterem arbeiten Hunderte von Forschergruppen an Universitäten oder in den Laboratorien der Saatgutindustrie. Große Erfolge hat es bisher nicht gegeben - unter anderem, weil Pflanzen einfach Wasser brauchen. Ohne dieses können sie keine Nährstoffe aufnehmen und keine Photosynthese betreiben, also nicht wachsen. Sie zu Wassersparern umzuprogrammieren kann - wenn überhaupt - nur bis zu einem gewissen Grad funktionieren - von den anderen möglichen ökologischen und sozioökonomischen Begleiterscheinungen von Gentechnik in der Landwirtschaft ganz abgesehen.
Doch viele Felder, vor allem in Entwicklungsländern, haben auch ohne Hochtechnologie das Potenzial, ein Vielfaches ihres derzeitigen Ertrages abzuwerfen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht des International Water Management Institute könnten "75 Prozent der zusätzlichen Nahrungsmittel, die wir in den kommenden Jahrzehnten brauchen, dadurch gewährleistet werden, dass Niedrigertrags-Landwirte ein Ertragsniveau von 80 Prozent dessen erreichen, was Hochertrags-Landwirte auf vergleichbarem Land erzielen". Vergleichbares Land bedeutet: ähnliches Klima, ähnliche Böden, ähnliche Niederschlagsmuster. Ein durchschnittlicher Getreidebauer in Ostafrika etwa könnte seine Ernten mithilfe leicht veränderter Anbautechniken, anderen Düngemitteln, einer an örtliche Gegebenheiten besser angepassten Fruchtfolge und ein wenig Wasser-Vorratshaltung mehr als vervierfachen. Kleine, aber zahlreiche Speicherteiche, in die bei starkem Regen das Oberflächenwasser geleitet wird, könnten eine zentrale Rolle spielen.
Zum Teil helfen auch in Vergessenheit geratene traditionelle Anbaumethoden oder auch ganz neue. In Tansania etwa pflanzen einige Bauern ihren Mais inzwischen in 50 Zentimeter tiefe Schlitze in die Erde, um die Wurzeln dem Grundwasser näherzubringen. Niicht einmal zwei Prozent der weltweit bewässerten Felder haben bisher Anlagen für "Tropfbewässerung". Mit solchen Systemen wird das Nass gezielt, wohldosiert und damit extrem effizient zu den Pflanzen gebracht, teilweise direkt in den Wurzel- bereich.
Deutsche Landwirte oder australische Farmer haben sowohl die Mittel als auch die Informationsquellen, um sich auf eine Wasserwandel-Zukunft einzustellen. In jenen Gegenden, die es am Nötigsten haben, wird dagegen vieles von ausländischen Geldgebern, Investoren und Hilfsorganisationen abhängen. Diese Länder allerdings waren -sagt Peter Gleick vom Pacific Institute in Oakland, einer der bekanntesten Experten für Süßwasserressourcen - bisher immer diejenigen, die die wenigste Hilfe bekamen. Meerwasserentsalzungsanlagen, die mit Strom aus neuen Kernkraftwerken arbeiten sollen, würden daran jedenfalls nichts ändern.