trinkgewohnheit
Leitungswasser ist out - ohne Grund, sagen Experten. Kehrt sich der Trend bald um?
Mineralwasser ist purer Pop. Ein Lifestyleprodukt, aus großen Tiefen gewonnen, bisweilen aus weiter Ferne herangekarrt und mit schicken Verpackungen vertrieben, dessen Nutzen uns aufwändige Werbekampagnen vermitteln: Flaschenwasser trinken macht schön, glücklich und hält jung.
"Wer eine Flasche Wasser mit sich herum trägt, zeigt seinem Umfeld, dass er gesund, fit und aufgeschlossen ist", sagt Trendforscherin Anja Kirig vom Zukunftsinstitut im hessischen Kelkheim. Frisch, gesund und ohne Kalorien - Wasser ist das Trendgetränk jener Konsumenten, die Qualm, Schnaps, Pfunden und dem Altwerden den Kampf angesagt haben. Und damit der Branche einen immensen Absatz bescheren.
Durchschnittlich etwa 130 Liter Mineralwasser trinkt jeder Deutsche heute im Jahr. 1970 waren es noch 12,5 Liter. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen, der etwa 220 Betriebe vertritt, verzeichnete im Jahr 2007 einen Mineralwasser- Absatz von knapp 10 Milliarden Litern. Am beliebtesten ist dabei noch immer sprudelndes Wasser. Die größten Zuwachs- raten sind jedoch bei stillen sowie aromatisierten Wässern zu beobachten. Hier stiegen die Absätze um knapp 25 beziehungsweise um gut 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Doch warum greifen die Deutschen zur Flasche? Schließlich gilt doch Trinkwasser aus der Hausleitung als das am gründlichsten überwachte Lebensmittel im Land. Es ist in der Regel bedenkenlos genießbar und günstig noch dazu: In Berlin beispielsweise kostet ein Kubikmeter Wasser aus dem Hahn - das sind eintausend Liter - derzeit 2,20 Euro, der Bundesdurchschnitt lag 2007 bei rund 1,80 Euro. Für die gleiche Menge eines durchschnittlichen Mineralwassers müsste der Supermarktkunde zwischen 500 und 600 Euro bezahlen.
"Im Vergleich zum Leitungswasser hat Mineralwasser dank seiner Mineralien bei den Verbrauchern einen Bonus", sagt Anja Kirig, "und natürlich ist es viel schicker, eine Flasche ,Voss' zu trinken als eine Karaffe Leitungswasser." Die norwegische Marke "Voss" gehört zu jenen Luxuswässern, die man im Edelrestaurant serviert bekommt oder für den heimischen Esstisch im Internet bestellen kann. Durch dichte Gesteins- und Eisschichten geschützt, sei das Wasser aus einer Quelle im Süden Norwegens rein und unbelastet, so die Eigenwerbung der Marke. Popstars wie Madonna schwören angeblich auf das teure Nass, das im Restaurant schon 15 Euro pro Flasche kosten kann.
Gesundheitsfördernd und unberührt vom Zivilisationsschmutz - mit diesen Argumenten werben die Produzenten von Mineralwasser für ihr Produkt, ganz gleich, ob es aus der Südsee oder aus dem Harz kommt. Das aber gilt nicht für jede Flasche gleichermaßen: Die Unterschiede in Zusammensetzung, Qualität und Geschmack des Wassers können erheblich sein. Und nicht jedes Wasser in einer Flasche ist Mineralwasser.
Natürliches Mineralwasser darf sich in Deutschland nur nennen, was aus einer geschützt im Erdinneren liegenden, amtlich anerkannten Quelle - in Deutschland gibt es davon knapp 800 - gewonnen wurde. Verunreinigungen durch die Umwelt oder chemische Zusätze haben in diesem Wasser nichts zu suchen. Kohlensäure hingegen darf zugefügt, Arsen, Eisen und Schwefel können entfernt werden. Im Gegensatz zum Trinkwasser aus der Leitung ist es nicht erlaubt, natürliches Mineralwasser chemisch zu behandeln. In welchen Mengen Mineralstoffe und Spurenelemente wie Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium oder Fluorid im Wasser enthalten sind, hängt von der Herkunft des Wassers, also den geologischen Gegebenheiten ab.
Neben dem natürlichen Mineralwasser kennt die Deutsche Mineral- und Tafelwasserverordnung noch das Quellwasser. Es darf aus mehreren unterirdischen Quellen gemischt werden, die jedoch weder vor Verunreinigungen durch die Umwelt geschützt noch amtlich anerkannt sein müssen. Das so genannte Tafelwasser hingegen ist ein hergestelltes Produkt, das aus Leitungs- oder auch Meerwasser, Natursole oder auch Mineralwasser bestehen kann. Im Gegensatz zum Mineral- und Quellwasser, die nur in Flaschen vertrieben oder auf den Restauranttisch gestellt werden, darf man Tafelwasser auch in Container abfüllen oder aus Zapfanlagen ausschenken. Heilwasser schließlich gilt als Arzneimittel, seine therapeutische Wirksamkeit muss nachgewiesen sein. Zu welcher Sorte das Wasser der Wahl gehört, sieht der Verbraucher auf dem Flaschenetikett.
Das vom Konsumenten so geschätzte natürliche Mineralwasser jedoch ist in seiner ursprünglichen und teils jahrtausende alten Form nicht unendlich. "Wenn es bewirtschaftet, also gefördert wird", sagt Engelbert Schramm, Wasserexperte und Mitbegründer des Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main, "sickert langfristig Wasser nach - von oben wie unten. Das kann die alten Wasserbestände verunreinigen." In die Ökobilanz des Mineral- und Flaschenwassers muss zudem der Aufwand eingerechnet werden, mit dem man das Nass aus der Tiefe holt, hinzu kommen der Betrieb von Abfüllanlagen, die Lagerung, Transport und nicht zuletzt die Verpackung: "Plastikflaschen für Getränke müssen ganz besondere Kriterien erfüllen", erklärt Schramm, "daher wird hier kaum recyceltes, sondern neues, aus Erdöl gewonnenes Plastik verwendet."
Zahlen aus den USA könnten hier ein Anhaltspunkt sein: Wissenschaftler des Pacific Institute in Kalifornien, das zu Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz forscht, haben sich mit dem Energieaufwand für Flaschenwasser beschäftigt: Im Jahr 2006 haben die US-Bürger 31 Milliarden Liter Wasser in Flaschen konsumiert, die meisten davon PET-Flaschen. Allein für die Produktion des Plastiks müssten 17 Millionen Barrel Öl veranschlagt werden, so die Wissenschaftler. Zudem seien insgesamt 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid durch Flaschenwasser entstanden. Und umgerechnet drei Liter Wasser seien nötig, um einen Liter Wasser in Flaschen herzustellen.
Nicht zu unterschätzen ist die Umweltbelastung, die durch den Transport der Flaschen entsteht: Gut 1,1 Milliarden Liter Mineralwasser wurden im Jahr 2007 nach Deutschland importiert, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Etwa 60 Prozent davon kamen aus Frankreich, andere nennenswerte Lieferanten sind die Niederlande, Italien und Luxemburg. Doch selbst Länder wie Iran, Taiwan, Saudi-Arabien, Südafrika und Brasilien exportierten Mineralwasser in die Bundesrepublik.
Weltweit ist der Markt für Flaschenwasser auf Wachstumskurs. Branchenkenner wie die Beverage Marketing Corporation in New York sprechen von globalen Zuwachsraten von bis zu 10 Prozent im Jahr. Die Global Player wie Danone, Nestlé, Coca Cola, PepsiCo und Unilever kämpfen auf fünf Kontinenten um Marktanteile. Auf den ersten Blick mag dieser Boom auch in ärmeren Ländern verständlich erscheinen, etwa wenn hygienisch einwandfreies Wasser nicht in jeder Haushaltsleitung verfüg- bar ist. Doch Kritiker warnen: Statt in Flaschenwasser sei das Geld in den Ausbau der öffentlichen Versorgung besser investiert.
In Deutschland indes freuen sich derweil die Ernährungswissenschaftler und Mediziner über den Wasserboom; um die zwei bis zweieinhalb Liter sollte ein Erwachsener täglich trinken. "Ob das Wasser aus der Leitung oder der Flasche kommt, ist dabei unerheblich", sagt Helmut Heseker, Mitglied des wissenschaftlichen Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Einen gesundheitlichen Mehrwert von Mineralwasser sieht er nicht: "Wir decken unseren täglichen Mineralstoffbedarf vor allem durch feste Nahrung, Wässer mit einem zusätzlichen Mineralstoffgehalt sind für die tägliche Versorgung in der Regel nicht notwendig." Vor allem bei neueren Trendgetränken, etwa Wasser mit einem hohen Sauerstoffgehalt, ist der Experte skeptisch: "Wir brauchen nicht den Darm, um uns mit Sauerstoff zu versorgen. Das schafft die Lunge ohne Probleme allein."
Und während in teuren Restaurants Luxuswässer wie "Fiji-Water" aus der Südsee angeboten werden oder auch "Bling H2O", dessen Flasche mit Swarovski-Kristallen verziert ist, lässt die mangelnde Nachhaltigkeit mancherorts den Trend wieder abebben. "Viele Restaurants in New York oder auch in Kalifornien schenken überhaupt kein Flaschenwasser mehr aus", berichtet Trendexpertin Anja Kirig, "nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Plastikflaschen die Umwelt belasten. Mit dem steigenden Gesundheits- und Umweltbewusstsein wird sich parallel zum bei Vollmond abgefüllten hawaiianischen Luxuswasser mittelfristig auch hier ein Trend zum Leitungswasser ent- wickeln."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.