Göttliches Gut
Wasser ist heilig, aber oft nicht rein
"Das Wasser im Fluss ist so schmutzig, dass niemand darin eintauchen kann": Shankracharya Vasudevanand Saraswati, der das wichtigste Hindu-Kloster im indischen Allahabad leitet, war nicht mehr bereit, in den Ganges zu steigen. Diese Ankündigung alarmierte die Politiker des Landes. Wenn er und andere Hindu-Priester bei der "Ardh Kumbh Mela", einem der größten religiösen Feste der Welt, im Januar 2007 nicht an der Spitze von Millionen Gläubigen in den Fluss gehen würden, drohte ein Skandal. Seit Jahrtausenden hatten sich Gläubige mit dem Bad in Indiens heiligstem Fluss von allen Sünden reingewaschen. Nun waren unangenehme Fragen zu erwarten: Warum wurde der Bau von Kläranlagen hinausgezögert? Warum haben die Behörden die Abwässer der vielen Gerbereien stets ignoriert? Warum ließen sie den heiligen Fluss zu einer Kloake verkommen?
Hektisch wurden 410 Gerbereien vorübergehend geschlossen, und rechtzeitig vor dem Festival strömten große Mengen relativ klaren Wassers aus Stauseen in den Ganges. Priester und Pilger stiegen noch einmal in den Fluss. Aber wenn beim nächsten Festival 2013 der Fluss nicht sauberer ist, droht ein Ende der Jahrtausende alten Tradition.
Nicht nur im Hinduismus, sondern in vielen Religionen der Welt hat die Achtung und Ehrfurcht vor der kostbaren Lebensgrundlage Wasser eine große Bedeutung. Es wird als ein göttliches Geschenk betrachtet, mit dem sorgsam umgegangen werden muss. Das gilt besonders für Judentum, Christentum und Islam, die in Wüstengebieten und an deren Rändern entstanden sind. Das hindert Israelis heute nicht, den See Genezareth und die Wasservorräte unter dem Westjordanland übermäßig zu nutzen, um die Wüste zu begrünen und Swimmingpools zu füllen. In christlich geprägten Ländern wird Wasser immer stärker zu einer bloßen Ware. Im muslimischen Jemen wiederum werden riesige Mengen des immer knapperen Wassers ausgerechnet dafür genutzt, die (leichte) Droge Qat anzubauen.
Aber je knapper sauberes Wasser wird, desto stärker erinnern sich viele Menschen an die religiösen Gebote für den Umgang mit dem kostbaren Gut. In Israel engagieren sich Gläubige in Umweltschutzgruppen gegen Wasserverschwendung. Engagierte Mitglieder christlicher Kirchen haben sich zu einem internationalen Ökumenischen Wassernetzwerk zusammengeschlossen. Muslimische Entwicklungsorganisationen fördern Projekte zur Verbesserung der Wasserversorgung.
Und in Indien wehren sich Hindus gegen die Verschmutzung von "Mutter Ganga". Der Priester und Ingenieur Veer Badra Mishra etwa kämpft seit Jahren für Kläranlagen, die den lokalen Verhältnissen angepasst sind. Es geht ihm um die Gesundheit der Menschen und um die Bewahrung der Religion: "Es wird gesagt, dass der Ganges Heil schenkt. Diese Kultur wird zu Ende gehen, wenn die Menschen nicht mehr in den Fluss steigen. Und wenn die Kultur stirbt, sterben auch die Tradition und der Glaube."