Verbraucherschutz
Die Verfütterung von tierischen Fetten könnte künftig wieder zugelassen werden. Die Grünen befürchten, dass dann in Deutschland die Rinderseuche BSE zurückkehrt
Die Republik Südkorea steckte im Juni in einer Regierungskrise. Ministerpräsident Han Seung Soo und sein gesamtes Kabinett boten ihren Rücktritt an. Sie reagierten damit auf wochenlange, zum Teil gewaltsame Demonstrationen der Bevölkerung. Die Menschen waren zu Tausenden auf die Straße gegangen, weil sie gegen die Wiederaufnahme von Fleischimporten aus den USA protestieren wollten. Sie fürchteten die Rückkehr von BSE. Wie bitte? BSE? Gibt es das noch? Angesichts immer neuer Lebensmittelskandale und immer neuer Tierkrankheiten wie der Vogelgrippe ist die auch als Rinderwahnsinn bekannte BSE-Krankheit seit Längerem weit in den Hintergrund des öffentlichen Bewusstseins gerückt.
BSE gibt es noch. Von Januar 2001 bis zum 30. Juni 2008 wurden in Deutschland nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) mehr als 17 Millionen Rinder auf BSE getestet. In 403 Fällen wurde die Krankheit festgestellt. In den 15 älteren EU-Mitgliedstaaten (EU 15) wird der so genannte BSE-Schnelltest jährlich bei rund zehn Millionen Rindern angewendet. Dabei ist die Krankheit allerdings konstant auf dem Rückzug. Wurden 2001 noch 2.164 BSE-Fälle gezählt, waren es 2007 in der EU 15 nach Berechnungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nur noch 149 Fälle. Dieser Rückgang ist nach Ansicht der EFSA-Experten eine direkte Folge der 2001 EU-weit eingeführten Gegenmaßnahmen. Seither gilt ein Verfütterungsverbot für Futtermittel, die tierische Proteine enthalten, namentlich Tiermehl. Außerdem dürfen bestimmte Teile der Rinder, die als Risikomaterial eingestuft werden, nicht weiterverwendet werden. Dazu zählen unter anderem das Hirn und das Rückenmark der Tiere.
Die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) ist eine tödliche Rinderkrankheit, die von einer schwammartigen Veränderung des Gehirns ausgeht. Entdeckt wurde sie 1986 in Großbritannien. Wenig später fanden Forscher ebenfalls auf der Insel den Überträger der Krankheit: entartete Proteine, so genannte Prionen. Auf der Suche nach dem Weg, wie diese Prionen in die Gehirne der Rinder kamen und dort ihre zerstörende Wirkung entfalten konnten, kam vor allem kontaminiertes Tiermehl in Betracht. Großbritannien hatte Anfang der 1980-er Jahre ein verändertes Herstellungsverfahren für Tiermehl zugelassen, bei dem die Verarbeitungstemperatur deutlich gesenkt worden war. Dadurch wurden, so ist man heute überzeugt, die gefährlichen Prionen nicht vollständig abgetötet. Daher das Verbot, tierisches Eiweiß zu verfüttern und besonders riskante Organe weiterzuverwenden.
Deutschland ist im BSE-Schutz noch einen Schritt weitergegangen. Hier dürfen Tieren nicht nur keine tierischen Eiweiße, sondern auch keine tierischen Fette verfüttert werden. Dieses zusätzliche Verbot, das nicht nur Rinder, sondern auch Schweine und Geflügel betrifft, verursacht den deutschen Bauern nach Berechnungen des Deutschen Verbands Tiernahrung (DVT) pro Jahr Zusatzkosten von 50 bis 60 Millionen Euro. Aber es sind nicht nur die höheren Kosten, die DVT-Geschäftsführer Bernhard Krüsken als Wettbewerbshindernis kritisiert: "Es ist schon eine aus Verbraucherschutzpolitik schizophrene Situation, dass wir uns selbst rigide Verbote auferlegen, gleichzeitig aber in unseren Kühlregalen zunehmend Fleisch aus anderen EU-Staaten zum Verkauf und Verzehr angeboten wird."
Im Zuge der Überarbeitung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches wird derzeit darüber nachgedacht, die Verfütterung tierischer Fette wieder zuzulassen. Allerdings eingeschränkt: Kannibalismus soll weiter verboten werden. Das heißt: Rinder dürfen nicht mit Rinderfetten ernährt werden. Diese Art des Intra-Species-Recyclings birgt nach gemeinsamen Untersuchungen des Friedrich-Löffler-Instituts und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nach wie vor ein nicht auszuschließendes Infektionsrisiko. Für eine strikte Beibehaltung des Fütterungsverbots von Tierfetten und -mehlen setzt sich deshalb die Bundestagsfraktion der Grünen in einem Antrag ( 16/9098) ein. Andernfalls sei eine Rückkehr von BSE in Deutschland zu befürchten.
Neue Nahrung bekommt die Diskussion über die Zulassung von Tiermehl angesichts der rapide steigenden Lebensmittelpreise. Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) hatte im Mai eine Lockerung des Tiermehlverbots in Aussicht gestellt, um die steigenden Preise für heimische Futtermittel zu mildern. Dabei geht es aber nicht nur um die Fette, sondern in erster Linie um die Proteine der Futtermittel. Nutztiere brauchen Proteine zum Wachstum. Pflanzliches Eiweiß, etwa aus Soja, muss größtenteils importiert werden, ist aber überwiegend genmanipuliert, was wiederum in Deutschland verboten ist. Konsequenterweise ist der Minister auch dafür, die Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Futterstoffe zu korrigieren. Im Herbst will er einen Vorschlag vorlegen.
Gefährlich für den Menschen ist BSE, weil der Verzehr von BSE-verseuchtem Fleisch eine tödliche, wenn auch nur sehr selten auftretende Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) auslösen kann. Hierbei treten wie beim Rind im Gehirn schwammartige Veränderungen auf. In Deutschland gab es nach den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts - im Gegensatz zu Großbritannien - bislang allerdings noch keinen einzigen Fall von vCJK.