Ruprecht Polenz
Russland ist im Kaukasuskonflikt doppelt gefragt, meint der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses - als Konfliktpartei und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat
Herr Polenz, welche Möglichkeit der Befriedung sehen Sie in der Kaukasusregion nach dem Krieg in Georgien?
Zunächst einmal muss jetzt der Sechspunkteplan erfüllt werden, den ja beide Seiten unterschrieben haben. Danach sollte dieser Waffenstillstand international beobachtet werden - etwa durch die von 200 auf 300 Mann aufgestockte OSZE-Mission. Und dann wird es um die Frage gehen, ob eine internationale Friedenstruppe diesen Zustand absichern sollte. Das setzt allerdings voraus, dass der Waffenstillstand eingehalten wird, alle Konfliktparteien dem zustimmen und der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat erteilt. Russland ist hier also doppelt gefragt.
Soll sich Deutschland auch mit Soldaten an einer potenziellen Friedenstruppe beteiligen?
Ich glaube, es ist zu früh heute über diese Frage zu spekulieren, denn es ist durchaus zweifelhaft, ob Russland einer solchen internationalen Friedentruppe überhaupt zustimmt.
Wie wird sich die Kaukasuskrise auf die Nato-Beitrittsperspektive Georgiens auswirken?
Die Bundeskanzlerin und der Außenminister haben deutlich gemacht, dass der Beschluss des Nato-Gipfels von Bukarest weitergilt. Danach wird Georgien Nato-Mitglied, allerdings ist offen, wann das der Fall sein wird, denn Georgien muss sich dafür durch rechtsstaatliche und demokratische Reformen noch qualifizieren. Außerdem will die Nato keine ungelösten Territorialkonflikte importieren.
Wird also durch diesen nun heißen Konflikt die zeitliche Perspektive doch hinausgeschoben?
Nein, dass wäre ein falsches Signal, weil Russland sich dadurch bestärkt fühlen könnte, durch ein bestimmtes Vorgehen Einfluss auf Nato-Entscheidungen nehmen zu können.
Wie ist Ihre Haltung zu den Verhandlungen der EU über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland? Sollen sie angesichts der russischen "Bestrafungsaktionen" in Georgien auf Eis gelegt werden?
Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ist so etwas wie die Grundlage für das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland. Die Verhandlungen darüber liefern eine vorzügliche Gelegenheit, herauszufinden, ob Russland wirklich zu Europa gehören will oder ob es nur im geografischen Sinne ein europäisches Land ist. Wenn man politisch zu Europa gehören will, ist auch ein gleiches Verständnis von Recht und Werten notwendig.
Der Nato-Rat hat aber die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt. Ist das ein richtiger Schritt?
Dieser Schritt soll mit Nachdruck auf die russische Verpflichtung zum Rückzug der Truppen in Georgien auf die Linien vom 7. August hinwirken. Das hat Russland zugesagt, insofern hängt es von Russland ab, wann die Gespräche im Nato-Rat wieder aufgenommen werden können.
Können Sie EU-Länder mit Ostblock-Erfahrung verstehen, die einen harten Kurs gegen Russland fordern?
Ich kann das verstehen. Ich höre nur kaum konkrete Vorschläge, worin diese Härte im Einzelnen bestehen soll damit sie auch zielführend ist. Es geht uns ja um gemeinsame politische Ansatzpunkte, das russische Verhalten positiv zu beeinflussen. Ich kann nicht erkennen, dass ein Unterbrechen von Gesprächskontakten dieser Sache dienen würde.
War es klug, den Vertrag über die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems in Polen in Verbindung zur Situation in Georgien zu setzen?
Das hat nur Präsident Kaczynski gemacht, es war völlig neben der Sache, denn die Raketenabwehr betrifft Russland nicht, sie ist nicht gegen Russland gerichtet, allerdings sieht Polen in der Stationierung von amerikanischem Begleitpersonal eine zusätzliche Garantie seiner Sicherheit.
Moskau spricht vom Selbstbestimmungsrecht der Völker in Bezug auf die abtrünnigen georgischen Republiken und zieht damit Parallelen zum Kosovo. Gibt es solche Parallelen?
Nein. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker bedeutet nicht das Recht auf einen eigenen Staat. Soweit würde auch Russland als Vielvölkerstaat nie gehen. Parallelen zum Kosovo bestehen aus einer ganzen Reihe anderer Gründe ebenfalls nicht. Die Osseten und Abchasen wurden zum Beispiel nicht jahrzehntelang in Georgien unterdrückt wie die Albaner von den Serben.
Können Sie die Reaktion Russlands in diesem Konflikt verstehen?
Ich kann nachvollziehen, wie die russischen Bewertungen sind, aber ich verstehe nicht, warum Russland die Nato immer noch so sieht, als wäre sie die Nato des Jahres 1988, als sie in der Tat ein Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion war. Die Nato des Jahres 2008 ist eine Allianz für Sicherheit und Stabilität und Russland hat von der Nato nicht nur nichts zu befürchten, sondern wirkt über den Nato-Russlandrat an Nato-Beratungen mit. Hinzu kommt: Die sichersten Grenzen hat Russland mit Mitgliedstaaten der Nato; denn das sind Demokratien, die rechtsstaatlich verfasst sind und von denen keine Bedrohung für den Nachbarn ausgeht.
Was sagen Sie zu dem russischen Argument, Russland müsse seine Staatsbürger vor Verfolgung schützen?
Es gibt selbstverständlich die Verpflichtung eines Staates, seine Staatsbürger zu schützen und ihre Interessen wahrzunehmen, aber das meint den konsularischen Schutz durch die jeweiligen Botschaften und Generalkonsulate - nicht das Recht zur militärischen Intervention. Hinzu kommt, dass Russland durch massives Ausgeben von russischen Pässen an Abchasen und Südosseten in georgische Souveränitätsrechte eingegriffen hat. Das ist völkerrechtlich auch nicht erlaubt.
Hat auch Georgien Fehler gemacht?
Sicher, Georgien hat sich in der Spirale von Provokation und Gegenprovokation zu einem Angriff auf südossetisches Gebiet hinreißen lassen. Es wird noch zu klären sein, ob die Vorwürfe zutreffen, dass das georgische Militär auch zivile Ziele angegriffen hat, also unterschiedslos gegen militärische und zivile Ziele, etwa in der südossetischen Hauptstadt, vorgegangen ist. Da gibt es noch eine Menge Fragezeichen, die erst aufgeklärt werden können, wenn internationale Beobachter und eine internationale Untersuchungskommission sich diesen Fragen zuwenden.
Sehen Sie die Energiesicherheit Europas durch diesen Konflikt gefährdet?
Sie ist auf alle Fälle davon berührt, denn Georgien ist das Transitland auf das Europa angewiesen ist, wenn es auch Öl und Gas über Pipelines aus Zentralasien bekommen will, ohne dass diese Pipelines durch russische Territorien verlaufen.
Gab es nach dem Ausbruch der Krise Kontakte zwischen deutschen und russischen Abgeordneten?
Das kann ich für den gesamten Bundestag nicht beantworten. Allerdings fährt eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses unter meiner Leitung mit den außenpolitischen Sprechern aller Fraktionen am 1. September für acht Tage nach Russland. Diese Reise wurde lange geplant und bei den Gesprächen in Moskau werden die Fragen, über die wir jetzt geredet haben, sicherlich auch zur Sprache kommen.
Das Interview führte Bernadette Schweda