Monatelang hatte die polnische Mitte-Rechts-Regierung unter Donald Tusk die Verhandlungen mit Washington um die in Polen zu stationierenden Raketen eines amerikanischen Abwehrsystems mit allen Tricks und Finessen hinausgezögert. Offensichtlich spielte die Führung an der Weichsel auf Zeit, um das Abkommen erst mit der kommenden US-Regierung zu schließen. Doch als russische Truppen anfingen, ganze Landstriche Georgiens zu verwüsten, ging alles ganz schnell. Innerhalb weniger Tage war das Dokument ausgehandelt und wurde am 20. August feierlich von der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice und ihrem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski unterzeichnet. Premierminister Tusk bemerkte danach knapp: "Polen fühlt sich nun sicherer!" Damit hat er die Stimmung unter seinen Landsleuten getroffen. Vor dem Georgienkonflikt war eine knappe Mehrheit gegen die Stationierung von Komponenten des Raketenschildes in Polen. Doch mit den Berichten über russische Bombereinsätze im Kaukasus und die systematischen Zerstörungen auch ziviler Einrichtungen ist die Stimmung gekippt: Nun fordern drei Viertel der befragten Polen eine enge militärische Zusammenarbeit mit den USA.
Nach den Worten Tusks belegen die Erfahrungen im Konflikt um Georgien, dass EU und Nato schwerfällige Institutionen sind, die wegen der komplizierten Abstimmungsmechanismen nur sehr langsam reagieren. Polen aber sei Nachbar Russlands, unmittelbar hinter seiner Nordgrenze im Bezirk Kaliningrad würden in Kürze wieder russsiche Mittelstreckenraketen aufgestellt und Panzerverbände stationiert, die das Land bedrohten. Aus diesem Grund habe es sich nun durch einen zusätzlichen Beistandspakt mit den USA abgesichert. Präsident Lech Kaczynski hatte nach dem Einmarsch der russischen Truppen in das georgische Kerngebiet die Initiative ergriffen: Er lud die Präsidenten der baltischen Staaten und der Ukraine ein, gemeinsam nach Tiflis zu fliegen, um Solidarität mit Georgien zu bekunden. Auf einer Großkundgebung vor mehr als einhunderttausend Menschen im Zentrum der Hauptstadt rief Kaczynski: "Russland hat wieder sein wahres Gesicht gezeigt!" Gemeinsam mit den Führungen Litauens, Lettlands und Estlands forderte er die EU auf, eigene Friedenstruppen aufzustellen und nach Georgien zu entsenden, weil die russischen Verbände, die sich selbst "Friedenstruppen" nennen, ihr Mandat missbraucht hätten.
Für seine harschen Worte bekam Kaczynski viel Beifall von den polnischen Medien. "Endlich hat er sich als wahrer Staatsmann erwiesen!", lobte ihn das Boulevardblatt Fakt. In der Beurteilung des Georgienkonfliktes sind sich auch Kaczynski und Tusk, die sonst erbitterte politische Rivalen sind, völlig einig: Die Nato habe durch die Entscheidung, den Georgiern und den Ukrainern vorerst keine Beitrittsgespräche anzubieten, die Russen dazu ermuntert, den Transkaukasus als ihr Einflussgebiet zu sehen. Warschau wird versuchen, sich an die Spitze der EU- und Nato-Mitglieder, die einst dem Ostblock angehörten, zu stellen, um eine Änderung der Brüsseler Ostpolitik durchzusetzen. Ziel: Tiflis und Kiew den Weg in beide westlichen Staatenbünde zu ebnen.