PRESSE
Wie russische Journalisten arbeiten und denken
Russland gilt als gefährliches Pflaster für Journalisten. 13 von ihnen wurden seit dem Amtsantritt Putins im Jahr 2000 ermordet, darunter auch Anna Politkowskaja, die für ihre kritischen Berichte aus Tschetschenien auch im Westen bekannt war. Aber Journalisten in Russland sind nicht nur Opfer des politischen Systems. Mit ihrem Berufsverständnis prägen sie die politische Berichterstattung und verstehen sich dabei oft eher als Erzieher der Bevölkerung denn als kritische Instanz gegenüber die Mächtigen. Das hat Tradition und lässt sich bis ins Zarenreich zurückverfolgen, wie der ehemalige Moskauer dpa-Korrespondent Erik Albrecht in seinem Buch "Die Meinungsmacher" beschreibt. Schon die erste Zeitungsgründung in Russland erfolgte "von oben". Peter der Große wollte publizistischen Beistand für seine Kriege und Reformen; der Zar wurde zum Herausgeber, zur einzigen Quelle und zuweilen zum Autor "seiner" Zeitung. Auch im 19. Jahrhundert wollten die Publizisten aus der "Intelligenzija" das Volk nicht informieren, sondern führen und erziehen. In der kommunistischen Periode fand dieses journalistische Selbstverständnis seine Fortsetzung: Sowjetische Journalisten bildeten einen "staatstragenden Berufsstand", der die Partei bei der Erziehung der Bevölkerung zu vorbildlichen Sowjetbürgern unterstützen sollte. "Fast während der gesamten Geschichte des russischen Journalismus", bilanziert Albrecht, "war die Presse ein Instrument in der Hand der Mächtigen".
Diese Vorgeschichte prägt auch das Selbstverständnis heutiger Medienmacher. "Folgen die russischen Journalisten Präsident Putin (bzw. seinem Nachfolger Medwedew) etwa freiwillig in seine schöne neue Medienwelt?", fragt Albrecht provokativ, um seine These dann auf der Basis von etwa einem Dutzend Interviews mit russischen Medienmachern zu überprüfen. Seine Antwort fällt ambivalent aus: Während ein Teil seiner Gesprächspartner westlichen Idealen von Objektivität und Ausgewogenheit nacheifert, sehen andere ihre Aufgabe darin, der Bevölkerung Führung und Orientierung zu vermitteln - teilweise durchaus im Einklang mit den Vorstellungen der staatlichen Machthaber. Größter Verdienst des in Aufbau und Stil fachwissenschaftlich geprägten Buches ist es, herauszustellen, dass journalistische Arbeit nicht nur durch äußeren Druck, sondern oft ebenso vom Berufsverständnis seiner Akteure geprägt wird - nicht nur in Russland.
Die Meinungs-macher. Journalistische Kultur und Presse-freiheit in Russland.
Herbert von Halem Verlag,
Köln 2008; 285 S., 24,50 ¤