kongo
Der Journalist Dominic Johnson über das Überleben zwischen Krieg, Ausbeutung und Anarchie
Das Land ist mit 2,34 Millionen Quadratkilometern so groß wie Westeuropa, hat so viele Einwohner wie Frankreich - gut 60 Millionen - und seine Erde ist gespickt mit Bodenschätzen, darunter Gold, Diamanten und Coltan, ohne das es keine Mobiltelefone gäbe. Trotz alledem ist die Demokratische Republik (DR) Kongo im Zentrum Afrikas - nicht zu verwechseln mit der Republik Kongo - beinahe ein weißer Fleck in der deutschen Berichterstattung. Die einstige belgische Kolonie, die nach der Unabhängigkeit unter Diktator Mobutu Zaire hieß, taugt mangels Traumstränden nicht als Traumziel für Touristen, mithin vermindert sich das mediale Interesse drastisch. Für Journalisten ist das Land schwieriges Terrain, nicht nur weil die Straßen zerstört sind nach drei großen und zahllosen lokalen Kriegen und der Staat seit Jahrzehnten nicht mehr in Verkehrswege investiert, sondern auch weil die Lage völlig unübersichtlich erscheint.
Nur selten erlangte Kongo/Zaire hierzulande Aufmerksamkeit, 1974 beim Boxkampf von Muhammad Ali gegen George Foreman und zuletzt 2006, als Bundeswehrsoldaten als Teil einer EU-Truppe die Präsidentschaftswahl sichern halfen. In vielen Reportagen ging es damals freilich eher um die Befindlichkeit der Deutschen als um die Menschen im Kongo.
Eine Ausnahme bildet die tageszeitung, deren Auslandsredakteur Dominic Johnson unter anderem mit zahlreichen eigenen Reportagen für kontinuierliche Kongo-Berichterstattung sorgt. Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Johnson, auch wissenschaftlich, mit dem Kernland des afrikanischen Kontinents, nun hat er ein überaus faktenreiches, kompaktes Werk mit Schwerpunkt auf der Nach-Mobutu-Zeit ab 1996/97 geschrieben, wie es auf dem deutschsprachigen Büchermarkt bisher nicht vorlag.
Historisches kommt dennoch nicht zu kurz, im Gegenteil. Es gelingt Johnson von der ersten Seite an, die kongolesische Gegenwart voller Brutalität und mit ihren tiefen Spaltungen zwischen Landesteilen und Bevölkerungsgruppen aus der Vergangenheit zu erklären. Arabische Sklavenexpeditionen im 19. Jahrhundert, die mit Waffengewalt ins Innere Afrikas vordrangen und dessen größten Schatz, seine Menschen, raubten, um sie von der Küste nach Arabien zu verschiffen oder an Europäer zu verkaufen, erinnern fatal an heutige Warlords, die in eine Region einfallen, sich wertvolle Bodenschätze unter den Nagel reißen und mit deren Verkauf an den reichen Norden ihre Kriege finanzieren. Belgische Beamte sortierten - zunächst in Diensten von König Leopold, später des Staates - die Menschen zu Verwaltungszwecken in "Stämme", machten einzelne Notablen und Gruppen zu ihren Günstlingen und schufen dadurch ethnische Konflikte, die fortwirken. Die Bestialitäten unter Leopold, der den Kongo bis 1908 als seinen Privatbesitz ansah und ausbeutete, finden ihre Entsprechung 1961 in dem grausamen Mord an Kongos erstem Regierungschef Patrice Lumumba unter belgischer Beteiligung sowie in den fürchterlichen Folterungen und Vergewaltigungen heutiger Kriegsparteien. Nach Jahrzehnten fruchtlosen Widerstands gegen Diktator Mobutu formierte sich 1996 im Ostkongo eine Rebellenkoalition, die nach nur acht Monaten triumphierte, als der langjährige Oppositionelle Laurent-Désiré Kabila an der Spitze einer Truppe mit zahlreichen Kindersoldaten in der Hauptstadt Kinshasa einzog.
Kabila brachte freilich keine Entwicklung, er bereicherte sich genauso hemmungslos an den Exporteinnahmen für Bodenschätze wie sein Vorgänger, und nach dem Bruch mit seinen ostafrikanischen Unterstützern Ruanda und Uganda wurde die DR Kongo zum Schlachtfeld für "Afrikas ersten Weltkrieg", bei dem die südafrikanischen Staaten Zimbabwe und Angola sich, angelockt durch die immensen Bodenschätze, auf Kabilas Seite schlugen. Zahllose Waffengänge, brüchige Waffenstillstandsvereinbarungen und erneute Kämpfe folgten. Millionen Menschen flohen in den Wald, in die Nachbarländer, vegetieren in Flüchtlingslagern, verhungerten, wurden wegen ihrer Zugehörigkeit zur einen oder anderen Ethnie gejagt und getötet. Kabila wurde umgebracht, sein Sohn Joseph folgte ihm im Amt, seit 2006 nach mitunter gewalttätiger Wahlschlacht durch eine halbwegs regelgerechte Abstimmung legitimiert. Heute herrscht kein Frieden, nur weniger Krieg im Kongo. Mit der Vielzahl von Fronten, politischen Gruppen, Milizen und Strippenziehern in den Nachbarländern in ständig wechselnden Konstellationen überfordert Johnson allerdings seine Leser. Seinem Anspruch an eine solide, umfassende Darstellung der Konflikte hätte er auch genügt, wenn er die Details in Fußnoten untergebracht hätte.
Hervorragend - wenn auch allzu knapp - berichtet Dominic Johnson, wie Menschen ihr Überleben organisieren, wenn es keinen Staat mehr gibt, wenn niemand mehr über die Einhaltung von Gesetzen wacht, Kinder unterrichtet und Gesundheitsstationen baut.
Kongo. Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens.
Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2008; 212 S., 19,90 ¤