Daseinsvorsorge
Die Kommunalwirtschaft erlebt eine Renaissance. Die Skepsis gegenüber Privatisierungen wächst - und mit ihr die Hoffnung auf sinkende Gebühren
In Heidenheim empört sich dieser Tage ein Teil der Mieter ehedem kommunaler Wohnungen über Mieterhöhungen, die ihnen der Eigentümer Gagfah in Form geänderter "Verwaltungs- und Instandhaltungskostenpauschalen" auferlegt hat. Der Immobilienkonzern hatte 2007 Tausende Wohnungen von der Stadt erworben. Eine "Sozialcharta" sollte die Mieter schützen, doch nun sieht die Sache etwas anders aus.
Der Fall Heidenheim dürfte in Heidelberg Edgar Wunder bestätigen, für den eine solche Sozialcharta "Augenwischerei" ist: Wunder war führender Kopf einer Bürgerinitiative, die im Sommer eine Volksabstimmung durchgesetzt hat, bei der sich über 80 Prozent gegen die Privatisierung von 600 Sozialwohnungen aussprachen. Zwar wurde das gesetzliche Quorum verfehlt, doch angesichts der öffentlichen Stimmung revidierte der Gemeinderat seinen Verkaufsbeschluss. Bundesweit Wellen geschlagen haben die Freiburger, die bei einem Referendum die Veräußerung von 8.000 staatlichen Wohnungen ablehnten, die 500 Millionen Euro einbringen und so die Stadt entschulden sollte. Mit einer 87-Prozent-Mehrheit votierten die Leipziger gegen die Teilprivatisierung ihrer Stadtwerke, für einen 49,9-Prozent-Anteil wollte Gaz de France 520 Millionen Euro hinblättern.
Solch spektakuläre Bürgerentscheide passen zu einer Entwicklung, die sich als Revitalisierung der Kommunalwirtschaft beschreiben lässt. Nicht selten werden privatisierte Betriebe etwa bei der Müllentsorgung oder bei der Wasserversorgung wieder in die Regie von Rathäusern und Landratsämtern übernommen. Stadtwerke werden neu gegründet, Gemeinden kaufen Strom- und Gasnetze zurück, zuweilen betreiben Stadtwerke im Verbund sogar Großkraftwerke, um Eon, RWE, Vattenfall und EnBW herauszufordern.
Stephan Weil (SPD), Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), sieht einen "Trend zur Rekommunalisierung". Gemeinden, konstatiert der Hannoveraner Oberbürgermeister zufrieden, würden sich zunehmend des Werts eigener Stadtwerke bewusst. So sieht es auch Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds: "Die Bürger haben längst erkannt, dass Privatisierung kein Allheilmittel ist." Wie Landsberg lehnt Christian Ude als Präsident des Deutschen Städtetags eine Veräußerung kommunalen Eigentums nicht generell ab. Doch der Münchner SPD-Oberbürgermeister findet drastische Worte: "Ganz klar bin ich gegen die dämliche Parole Privat vor Staat." Für eine differenzierte Sichtweise je nach Branche und Situation vor Ort wirbt Peter Götz, Kommunalfachmann der Unions-Bundestagsfraktion: Aber er betont, dass Stadtwerke ein hohes Maß an Versorgungssicherheit garantieren.
Schon in den 1990er-Jahren begannen viele Rathäuser, aus Finanznot Stadtwerke, Kliniken, Wohnungsgesellschaften, Bäder, Entsorgungsbetriebe oder Wasserunternehmen loszuschlagen. Dresden machte sich durch den Verkauf von fast 50.000 Wohnungen an den US-Investor Fortress schuldenfrei. Der Immobilienfonds der US-Investmentbank Goldman Sachs schulterte 3,4 Milliarden Euro, um von Nordrhein-Westfalen 93.000 Landeswohnungen zu erwerben. Vattenfall übernahm in Berlin und Hamburg das Geschäft mit dem Strom.
Aber auch in kleineren Orten und Landkreisen stiegen Private in die Kommunalwirtschaft ein. Es muss nicht immer ein Kompletterwerb sein: Nach einer VKU-Übersicht mischen in rund 350 von knapp 1.000 Stadtwerken Private mit, meist mit Anteilen unter 50 Prozent - dazu gehören auch Konzerne wie Eon oder RWE.
Mittlerweile ist jedoch ein gewisses "Roll- back" zu beobachten. VKU-Sprecherin Rosemarie Folle: "Man wägt ohne Ideologie nüchtern Vor- und Nachteile ab." So kaufte Potsdam die Wasserwerke zurück, nachdem die Versorgung immer teurer wurde. Seit 2006 werden in Bergkamen die Mülltonnen wieder von einem städtischen Betrieb geleert: Die Kosten sanken um 30 Prozent, die Bewohner profitierten von Gebührensenkungen. Das Rathaus musste zwar 1,6 Millionen Euro investieren, für Schultes Roland Schäfer aber "die beste Investition, die die Stadt je gemacht hat".
Auch in den Kreisen Rhein-Hunsrück, Lüneburg oder Uckermark organisieren wieder staatliche Unternehmen die Abfallentsorgung - preisgünstiger als zuvor private. Die Uckermärker Müllwerker können sich über Tariflöhne freuen, was öffentliche Kassen durchaus zu schonen vermag: Im sächsischen Muldentalkreis verdienten die Beschäftigten nach der Privatisierung so wenig, dass sie sich über Wohngeldhilfen und Hartz-IV-Aufstockung Staatsknete besorgen mussten.
Das sind nur einige Beispiele für Rekommunalisierungen. Nun drohen Private keineswegs ganz aus dem Geschäft zu geraten. "Manche Städte sind mit Privatisierungen durchaus zufrieden", konstatiert Folle. Landsberg warnt vor "Pauschalurteilen", Dresden etwa sei mit dem Wohnungsverkauf "gut gefahren". Ude findet, München könne auf Anteile am Flughafen verzichten. In Bergkamen lässt Schäfer kommunale Gebäude von Privatfirmen reinigen.
Der CDU-Abgeordnete Götz meint, Rathäuser sollten zwar aus sozialen Gründen einen kleinen, aber keinen großen Wohnungsbestand besitzen. Bei Stadtwerken sehe es schon anders aus, da könnten gewinnorientierte Betreiber schon mal Investitionen in Strom- oder Gasnetze vernachlässigen. Wie Götz lehnt der SPD-Parlamentarier Bernd Scheelen eine Privatisierung der Wasserversorgung strikt ab, es handele sich schließlich um ein "Lebensmittel". Prinzipiell warnt er vor "ideologischen Fixierungen": Die Gemeinden sollen entscheiden, wer etwa bei der Müllentsorgung die besten Leistungen zu günstigen Kosten für die Bürger erbringt.
Die FDP-Bundestagsfraktion will hingegen an ihrem "klaren Privatisierungskurs" festhalten, so die Abgeordnete Gisela Piltz, "schlecht gemachte Privatisierungen sind der Feind des notwendigen Umdenkens". Man dürfe nicht "staatliche durch private Monopolstrukturen" ersetzen. Kommunen müssten "Privatisierungen richtig machen", fordert die Abgeordnete: Echter Wettbewerb entlaste Bürger und Staat.
Doch die Kommunalwirtschaft scheint zumindest derzeit aufgefrischt zu werden. Als erfolgreiches Modell firmieren die profitablen Stadtwerke Flensburg, die Strom selbst in Skandinavien verkaufen. Inzwischen wollen manche Kommunalbetriebe sogar durch Energieerzeugung in großem Stil den Wettbewerb auf dem Markt forcieren. Im Verbund Trianel errichten über 30 Stadtwerke etwa im nordrhein-westfälischen Lünen für 1,4 Milliarden Euro einen 1.600-Megawatt-Kohlemeiler. Tübingen und andere Südwest-Kommunen planen gemeinsam ein Kohlekraftwerk in Brunsbüttel.
Laufen Konzessionsverträge mit größeren Versorgern aus, erwägen Gemeinderäte und Bürgermeister zusehends, Netze zurückzukaufen. Am Bodensee etwa übernehmen sieben kleinere Kommunen das lokale Verteilsystem für Strom und Gas. Im Landkreis Kassel debattieren zahlreiche Kommunen die Kündigung der mit Eon geschlossenen Abkommen. Am Oberrhein beschlossen Müllheim und Staufen, die Gasversorgung künftig selbst zu managen und die Konzession mit dem Regionalunternehmen nicht zu verlängern. Auch über vielfältige Kooperationen etwa beim Einkauf von Energie, beim Netzbetrieb oder im Rechnungswesen wollen Stadtwerke sich am Markt besser behaupten.
Stadtwerke haben sich, so VKU-Sprecherin Folle, viel Kompetenz erworben beim Ausbau von erneuerbaren Energien und umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung. So etwas zähle für eine ökologisch sensibilisierte Öffentlichkeit. Umfragen zeigten zudem, dass Versorgungssicherheit und Verlässlichkeit zunehmend höher im Kurs stehen, "und das verbinden die Bürger wohl eher mit staatlichen Unternehmen". Der Abgeordnete Götz vermutet, speziell beim Wasser spiele auch "das Emotionale" eine Rolle.