IRAK
Nach den Provinzwahlen und den ersten vorläufigen Ergebnissen ist Premier Nuri al-Maliki der Sieger
Die Frauen sitzen rund um die Bronzestatue des berühmten irakischen Dichters al-Mutanabbi am unteren Ende der Straße, die seinen Namen trägt und die im ganzen Mittleren Osten bekannt ist für ihren Büchermarkt. Immer freitags findet er seit Jahrzehnten hier statt. In den vergangenen beiden Jahren war dies allerdings nicht der Fall. Der Terror machte auch vor der Literatur nicht Halt. Am 5. März 2007 explodierte ein blauer Pick-up vor dem traditionellen Café Al Shabander. Die Explosion war so heftig, dass die berühmte Büchermeile in Flammen stand. Über die Hälfte der Läden wurde zerstört.
Kurz vor den Provinzwahlen am 31. Januar weihte Premierminister Nuri al-Maliki die frisch restaurierte Straße wieder ein. Die Häuser sind sorgfältig wieder aufgebaut, die Wege neu gepflastert, die Buchgeschäfte wieder geöffnet. Auch im Kaffeehaus diskutieren jetzt wieder Literaten, Musiker, Theaterregisseure und solche, die es gern werden möchten. Am Ufer des Tigris laden Bänke und Tische zum Verweilen ein. Die Mutanabbi ist zum Vorzeigeobjekt geworden, zum Leuchtturm in der sonst noch reichlich zerstörten Hauptstadt.
Ahlam Hussein hat bei den Wahlen dem Premierminister ihre Stimme gegeben. "Es ist doch schön, dass er dies alles wieder aufbauen ließ", begründet die 40-jährige Bagdaderin ihre Entscheidung. "Maliki ist der stärkste Politiker, den wir zurzeit haben." Das meinen wohl viele im Irak. Denn nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen ist er der Gewinner der Provinzwahlen. In den beiden großen Städten Bagdad und Basra liegt Malikis Liste an erster Stelle der abgegebenen Stimmen, in acht weiteren Provinzen des Südens ebenfalls. Nur nördlich von Bagdad bekam der schiitische Premier kaum einen Fuß auf den Boden. Dort dominieren sunnitische und kurdische Parteien. Trotzdem konnte er in der zwar mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Dijala immerhin noch sechs Prozent einfahren. "Ein beachtlicher Erfolg", zeugt Lamia dem Premier Respekt. Sie ist aus Baquba, der Provinzhauptstadt Dijalas, extra nach Bagdad gekommen, um die in neuem Glanz erstrahlende Mutanabbi zu sehen. Ein paar Bücher werde sie sich kaufen, sagt die 23-jährige Studentin. Romane, Kochbücher, ein Englisch-Wörterbuch. Gegen Mittag füllt sich die Mutanabbi, und immer mehr Händler legen ihre Second-Hand-Ware auf zerrissene Pappkartons direkt auf die Straße.
In 14 der 18 Provinzen Iraks müssen derzeit Räte neu bestimmt werden, die dann ihrerseits Gouverneure und Bürgermeister wählen. Bei den ersten Provinzwahlen im Januar 2005 boykottierten die Sunniten die Wahl aus Opposition über den drohenden Machtverlust und die Militäroperationen der US-Truppen in ihren Regionen. Heute erkennen die meisten von ihnen diese Weigerung als großen Fehler an, denn in der Folge wurden Ämter und politische Posten in den Provinzen entweder mit Kurden oder Schiiten besetzt. Die Sunniten blieben außen vor. Deshalb sind diese Wahlen so wichtig, gelten sie doch als Neuordnung der politischen Landschaft auf Provinzebene und als Ausblick auf die bevorstehenden nationalen Parlamentswahlen im Dezember. Auch finden sie besondere Beachtung in der amerikanischen Öffentlichkeit. Denn je stabiler die Sicherheitslage im Irak ist, desto schneller können die Amerikaner abziehen. Die Bilanz bis jetzt ist durchaus positiv. Der Verlauf des Wahlprozesses war ruhiger als noch vor vier Jahren, obwohl vermehrt Terroranschläge für den Wahltag prophezeit wurden. Gleichwohl sind im Vorfeld zwei Kandidaten ermordet, ein weiterer ist schwer verletzt worden. Ein Selbstmordattentäter zündete am Wahltag seinen Sprengstoffgürtel in einem belebten Restaurant in Kanaquin und riss zwölf Menschen mit in den Tod. Es gibt Beschwerden über Wahlfälschungen, Stimmenkauf und Manipulationen, denen die Wahlkommission unter Aufsicht der Vereinten Nationen nachgeht. Die amtlichen Endergebnisse sollen daher erst am 23. Februar verkündet werden. "Doch das alles hält sich in Grenzen", sagt UN-Chef Staffan de Mistura im Gespräch mit dieser Zeitung und lobt die Disziplin der Iraker. Auch nach Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse blieben gewalttätige Auseinandersetzungen weitgehend aus. Nur in der sunnitischen Provinz Anbar, nordwestlich von Bagdad, kam es in den ersten beiden Tagen nach der Wahl zu Ausschreitungen. Über Falludscha und Ramadi, den ehemaligen Terrorhochburgen, verhängte die irakische Armee Fahrverbot und zeitweilig Ausgangssperre. Seitdem ist man auch dort mehr mit Koalitionsbildungen als mit Säbelrasseln beschäftigt.
Während Ahlam und Lamia stolz ihre Finger mit der noch nicht abgewaschenen Tinte zeigen und damit beweisen, dass sie wählen gingen, schütteln Samira Hadi und Umm Ahmed den Kopf. "Ich werde erst wählen gehen, wenn die Besatzer das Land verlassen haben", redet sich die 35-jährige Samira in Rage. Eine Wahl unter einer Besatzung sei doch keine Wahl, nach all dem, was den Irakern angetan wurde. Umm Ahmed sieht das anders. Sie wäre wählen gegangen, meint die 52-Jährige, aber sie wusste nicht, wen sie wählen soll. "Es gab so viele Kandidaten und Parteien. Da fiel es mir schwer, mich zu entscheiden." Unter Saddam habe es zwar Wahlen gegeben, aber eine Wahl hatte man eigentlich nicht.
Für diese Provinzwahlen konnte man sich nun zwischen 14.431 Kandidaten entscheiden. Zum ersten Mal gab es offene Listen. Der Wähler konnte einen Haken sowohl bei einer Partei, einer Liste oder einer Person machen. Nur 51 Prozent der 15 Millionen Wahlberechtigten haben davon Gebrauch gemacht.