FÖDERALISMUS
Die Reform des Bundesstaates kommt voran, die Schuldenbremse wird eingebaut. Aber es gibt Streit über die Ausnahmen, wann Geld gepumpt werdern darf
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Mit breiter Mehrheit hat also die Föderalismuskommission eine Schuldenbremse samt Konsolidierungshilfen für arme Länder beschlossen. Kanzlerin Angela Merkel jubelt über eine "fundamentale Weichenstellung", SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck über eine "Sternstunde des kooperativen Bundesstaats", Bayerns CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer über eine "Wetterwende". Der Stuttgarter CDU-Regierungschef Günther Oettinger, der mit Struck dem Gremium vorsitzt, gibt sich überzeugt, dass es für eine Verankerung der für Bund und Länder geltenden Regelung eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat geben wird - für die FDP signalisiert Kommissionsvize Ernst Burgbacher bereits Zustimmung. In dem Gremium votierten nur die Fraktionen von Linkspartei und Grünen sowie das Land Mecklenburg-Vorpommern mit Nein, Schleswig-Holstein enthielt sich.
Alles klar? Keineswegs, ein neues Match zieht am Horizont herauf. Wortgewaltig kündigt der Kieler Politiker Ralf Stegner als Sprecher aller SPD-Landtagsfraktionen schon mal Verfassungsklagen in Karlsruhe an: Es sei "eine Schande", wie sich Bundestag und Bundesrat auf Kosten Dritter einigen wollten, nämlich der Landtage, in deren Budgetrecht über ein Kreditlimit im Grundgesetz auf inakzeptable Weise eingegriffen werde. Stegner verweist auf den Ältestenrat des Kieler Landtags, der fraktionsübergreifend zur Verteidigung des Königsrechts der Etatpolitik aufruft.
Sozusagen als Begleitspiel zu dem neuen Match kommen die Landesparlamente wohl nicht umhin, das von 2020 an geltende Null-Schulden-Gebot in ihre eigenen Verfassungen zu schreiben - wozu Zweidrittel-Mehrheiten vonnöten sind, in Hessen ist sogar eine Volksabstimmung erforderlich. "Das Grundgesetz ist nicht die dienstvorgesetzte Stelle für Landesverfassungen", sagte Bodo Ramelow. Der Obmann der Linkspartei in der Föderalismuskommission hält es für ein "nicht geklärtes Rechtsproblem, ob der Bundespräsident die geplante Grundgesetzänderung unterschreiben darf". Der Verfassungsstreit rückt das neue Kreditregime fast ein wenig in den Hintergrund. Am 5. März soll bei einer Sitzung laut Struck und Oettinger nur noch "handwerklich" letzte Hand an das Modell gelegt werden.
Das Schuldenlimit soll bis Juli beschlossen werden, 2011 in Kraft treten und von diesem Zeitpunkt an Bund wie Länder auf eine restriktive Etatpolitik verpflichten. Von 2016 an darf der Bund in ökonomisch normalen Zeiten Kredite in Höhe von nur noch 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen, das sind derzeit 8,5 Milliarden Euro. Für die Länder dauert die Übergangsperiode bis 2019, von 2020 an ist dann aber gar keine Neuverschuldung mehr drin. In konjunkturell schwachen Phasen sowie in Notsituationen wie Naturkatastrophen oder einer schweren Weltwirtschaftskrise dürfen Bund und Länder über das Limit hinaus Kredite schultern - die jedoch im Rahmen eines verpflichtenden Tilgungsplans zurückzuzahlen sind. Im Bundestag ist für solche Entscheidungen die Kanzlermehrheit vonnöten.
Bis zuletzt umstritten waren die Sonderhilfen für Bremen, Saarland, Berlin, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt, die zwischen 2011 und 2019 insgesamt 7,2 Milliarden Euro erhalten. Pro Jahr entfallen auf Bremen 300 Millionen, auf das Saarland 260 Millionen und die anderen drei Länder jeweils 80 Millionen. Diese Etatsubventionen, die aus einem von Bund und Ländern je zur Hälfte gespeisten Topf stammen, sollen es den fünf hochverschuldeten Ländern ermöglichen, von 2020 an ihre Haushalte ohne neue Kredite auszugleichen. Die Zinshilfen sind an die Erfüllung strenger Konsolidierungsauflagen durch die Empfänger gekoppelt, für Oettinger ein "goldener Zügel im besten Sinne". Bremen und das Saarland müssen ihre auf zusätzliche Bundesgelder zielenden Klagen in Karlsruhe zurückziehen.
Die neuen Grundgesetzartikel seien mit dem Budgetrecht der Landtage vereinbar, meint Oettinger. Doch in den Landesparlamenten wird die SPD, ohne die meist keine Zweidrittel-Mehrheit zustande kommt, ihre Macht wohl auszuspielen versuchen - was im Osten auch für die Linkspartei gilt. Antje Tillmann sieht die Ministerpräsidenten in der Verantwortung, zu Hause für Zustimmung zu sorgen. Die Unions-Obfrau in der Kommission glaubt im Übrigen nicht, dass etwa die SPD-Opposition an der Saar eine Verfassungsänderung ablehnen könne, wenn damit Unterstützungszahlungen aufs Spiel gesetzt würden.
Neben dem Verfassungskonflikt dürfte auch der Grundsatzstreit über ein Kreditlimit neu aufleben. Die FDP will darauf dringen, so der Abgeordnete Volker Wissing, dass die Ausnahmeregelungen restriktiv formuliert werden. SPD-Vize Andrea Nahles wehrt sich indes dagegen, die "Handlungsspielräume zukünftiger Generationen" in einer Weise einzuschränken, "die die Generation Struck und Oettinger für sich nie akzeptiert hätte". Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn kritisiert einen wenig beachteten Aspekt: Hochverschuldete Kommunen bekommen keine Hilfsgelder.