CAROLA REIMANN
Die SPD-Gesundheitsexpertin will die kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige
Frau Reimann, der Streit um die Behandlung Schwerstabhängiger mit synthetisch hergestelltem Heroin - so genanntes Diamorphin - beschäftigt den Bundestag nun schon seit Jahren. Jetzt haben zahlreiche SPD-Abgeordnete gemeinsam mit Parlamentariern von FDP, Linksfraktion und Grünen einen Gesetzentwurf ( 16/11515) vorgelegt, mit dem eine Behandlung mit dem Mittel ermöglicht werden soll. Dabei ist die SPD doch eigentlich in einer Koalition mit der Union?
Das ist richtig, aber hier geht es wirklich um Hilfe für Schwerstabhängige. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir in der Koalition vereinbart, dass es dabei um eine ethische Frage geht und der Fraktionszwang deswegen aufgehoben ist.
Wir haben sehr lange bei den Unions-Kollegen geworben, gemeinsam mit uns einen Antrag einzubringen, um diese Diamorphin-Regelung zu treffen. Es gab in mehreren Städten ein mehrjähriges Modellprojekt zur diamorphingestützten Behandlung Opiatabhängiger - dabei ging es um schwerstabhängige Menschen, für die eine solche Behandlung wirklich die allerletzte Möglichkeit darstellt. Diese Modellprojekte waren sehr erfolgreich, und wir möchten jetzt, dass Diamorphin als Medikament anerkannt und auch von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt wird.
Die Unions-Fraktion ist aber nicht bereit, mit uns einen solchen Antrag zu formulieren - obwohl es solche Initiativen auch von CDU-geführten Ländern und einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrates gibt und auch die breite Unterstützung der Kommunen, in denen diese Modellprojekte liefen - unabhängig davon, ob diese Kommunen nun von der SPD oder der Union geführt werden.
Was genau sieht denn nun der von 250 SPD- und Oppositionsabgeordneten unterzeichnete Gesetzentwurf vor?
Wir lehnen uns dabei ganz eng an die Bundesratsinitiative an. Die Union versucht den Eindruck zu kolportieren, dass es dann "Heroin auf Rezept" gibt - das wird es nicht geben. Es wird eine Abgabe in bestimmten Stützpunkten geben, in denen immer ein Arzt ist und bei denen hohe Sicherheitsvorkehrungen gelten. Dort können dann die Schwerstabhängigen Heroin bekommen und dort auch spritzen. Dabei soll von der gesetzlichen Krankenversicherung nur das Medikament bezahlt werden. Die Kommunen müssen dagegen für die Einrichtung Sorge tragen.
Kann jeder Abhängige dort Diamorphin bekommen?
Nein, es geht um eine kleine Gruppe Schwerstabhängiger - da sollen jetzt nicht Zehntausende auf Rezept mit Stoff versorgt werden. Maximal handelt es sich bundesweit um vielleicht 1.000 bis 2.000 Menschen, und bei denen ist auch noch die Frage, ob sie alle erreicht werden können. Schließlich soll Diamorphin nicht flächendeckend abgegeben werden dürfen, sondern nur in diesen speziellen Einrichtungen, in denen auch Ärzte sind und es begleitend eine psychosoziale Betreuung gibt. Diese Kombination ist erforderlich, um am Ende zum Erfolg zu kommen. Wir wollen nicht, dass Heroin auf Rezept an alle möglichen Leute abgegeben wird.
Die Abhängigen, die in den Einrichtungen sind, haben bereits versucht zu entziehen oder mit Methadon zu substituieren. Wenn das nicht geht, ist Diamorphin die allerletzte Möglichkeit. Konkret sieht unser Entwurf vor, dass für die Diamorphinbehandlung nur in Frage kommt, wer seit mindestens fünf Jahren abhängig ist und schon zwei oder mehr erfolglose Therapien hinter sich hat. Außerdem haben wir ein Mindestalter von 23 Jahren für eine Diamorphinbehandlung vorgesehen.
Welche Vorteile bietet denn eine Diamorphin-Behandlung im Vergleich etwa zu einer Methadon-Substitution?
Das Modellprojekt hat gezeigt, dass man damit auch solche Menschen stabilisieren kann, die das mit Methadon nicht schaffen. Das sind Abhängige, die eine langjährige Drogenkarriere hinter sich haben und körperlich sehr geschwächt sind. Deren Gesundheitszustand stabilisiert sich bei der Diamorphin-Behandlung. Auch dürfen dabei nicht noch andere Drogen genommen werden.
Zudem wurde beobachtet, ob die Betroffenen auch gesellschaftlich stabilisiert und wieder in ein normales Leben integriert werden können. Das war in vielen Fällen sehr erfolgreich - vor allem erfolgreicher als mit Methadon. Für die Kommunen wichtig ist auch, dass bei der Diamorphin-Behandlung auch die Beschaffungskriminalität entfällt. Insofern handelt es sich auch um eine Präventionsmaßnahme zur Kriminalitätsbekämpfung.
In der CDU/CSU wird für eine Fortführung der Modellprojekte plädiert mit dem Argument, dass viele Fragen noch offen seien: etwa, in welchen Zeiträumen die Therapie reduziert werden könne. Wie stichhaltig finden Sie diese Einwände?
Ich halte es für Unsinn, die Betroffenen jetzt noch einmal auf eine weitere Probephase zu vertrösten. Es gibt wirklich einen klaren Nachweis über die Wirksamkeit der Diamorphin-Behandlung.
Ein weiterer Kritikpunkt an dem Gesetzentwurf lautet, dass darin der psychosozialen Begleitung zu wenig Bedeutung beigemessen werde und es neben der Stabilisierung des Abhängigen auch darum gehen müsse, ihm einen Weg aus der Sucht zu eröffnen.
Dem muss ich absolut widersprechen. In der Studie sind auch Varianten psychosozialer Begleitung getestet worden - und zwei davon wurden auch erfolgreich implementiert. Deshalb halte ich dieses Argument für vorgeschoben.
Bei einer Anhörung im September 2007 verwiesen Kritiker auf die im Vergleich zur Methadonbehandlung deutlich höheren Kosten der diamorphingestützten Therapie. Wie lässt sich deren Übernahme durch die Krankenkassen angesichts der permanenten Finanznöte des Gesundheitswesens rechtfertigen?
Der Abschlussbericht zu den Modellprojekten, der seit Juni 2008 vorliegt, enthält Anhaltspunkte, dass nach Übernahme der Diamorphin-Behandlung in das Regelsystem der Gesundheitsversorgung mittelfristig sogar eine Kostenersparnis erzielt werden kann. Wenn man nicht nur allein den Gesundheitsbereich sieht, sondern auch berücksichtigt, dass dabei beispielsweise die Beschaffungskriminalität reduziert werden kann, sind insgesamt Einsparungen zu erwarten. Richtig ist allerdings, dass Diamorphin als Medikament derzeit teurer ist als Methadon.
Nicht nur an den viel zitierten Stammtischen werden es viele Beitragszahler für ungerecht halten, für "Heroin auf Kassenkosten" zahlen zu sollen. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Dass wir es mit einer Sucht zu tun haben -das ist so. Das hat natürlich krankhafte Züge, und man muss sehen, dass man diese Menschen in den sicheren Tod schickt, wenn man ihnen nicht hilft. Diese 30- oder 40-Jährigen, die schon sehr lange abhängig sind, haben mit ihrem Drogenkonsum ihre Gesundheit ruiniert.
Im März soll zum ersten Mal im Plenum des Bundestages über den Gesetzentwurf debattiert werden. Wie sieht danach der weitere Zeitplan für die Beratungen aus? So lange dauert die Legislaturperiode ja nicht mehr.
Wir hoffen, dass dann sehr zügig beraten werden kann. Das Thema haben wir ja schon sehr intensiv diskutiert. Da es bereits eine Anhörung zu dem Thema gegeben hat, sehe ich keine Notwendigkeit für eine weitere Anhörung.
Sie gehen also davon aus, dass der Entwurf sowohl vom Bundestag wie vom Bundesrat noch vor der Sommerpause abschließend beraten werden kann?
Ja, das hoffe ich - und erwarte dabei, dass unser Entwurf auch im Bundesrat eine Mehrheit finden wird.
Das Interview führte Helmut Stoltenberg.
Carola Reimann ist seit 2005
gesundheitspolitische Sprecherin der
SPD-Bundestagsfraktion und
Mitglied des Fraktionsvorstandes.