Wird der Reichstag entwürdigt oder geadelt? Das war vor 15 Jahren die Frage, als der Bundestag darüber abstimmen sollte, ob der Künstler Christo zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude das Berliner Reichstagsgebäude mit Stoff verhüllen dürfe. Ganze 23 Jahre hatte der Künstler auf die Entscheidung gewartet, denn bereits 1971 war ihm die spektakuläre Idee gekommen. Allerdings fand sich lange Zeit keine Unterstützung vonseiten der deutschen Politik. Erst die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) ließ sich von Christo und seiner Idee überzeugen. Am 25. Februar 1994 kam es quer durch die Fraktionen zu einer emotionalen wie kontroversen Debatte.
Die einen, darunter der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble, vertraten die Auffassung, die Kunstaktion sei der historischen Würde des Ortes nicht angemessen. Der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch entrüstete sich über die Verletzung eines "nationalen Symbols". Es gebe Dinge, betonte er, die nicht dem Vergnügen dienten, und dazu gehöre im besonderen Maße der Reichstag. Der Grüne Konrad Weiß hingegen sah die "Möglichkeit, diesen ambivalenten Ort deutscher Geschichte neu zu erfahren".
Schließlich stimmten 292 Abgeordnete für und 223 gegen das Vorhaben. Im Juni 1995 präsentierte sich dann der nur schemenhaft zu erkennende Reichstag für zwei Wochen der Öffentlichkeit. 100.000 Quadratmeter Polypropylengewebe, mehr als 15 Kilometer Stahlseil und 90 Fassadenkletterer waren nötig, um das Gebäude "einzupacken".