24-STUNDEN-TV
Einen Tag lang zappte sich unser Autor durch die deutsche Fernsehlandschaft. Ein Selbstversuch
Gleich ist es vorbei. Montagabend, kurz vor zwölf. Bei "heute nacht" im ZDF läuft zum 100. Mal an diesem Fernsehtag ein Beitrag über das "Schneechaos in London", RTL schaut einem Nudisten zu, wie er nackig durch Frankfurt am Main läuft, auf Pro Sieben verabschiedete sich Stefan Raab nach einer flauen "TV total"- Sendung, in der das Studiopublikum aufstehen musste, um Raab im Kasernenton mit "Guten Abend, Herr Moderator" zu begrüßen, und im Ersten hat Reinhold Beckmann gerade das Gespräch mit Thekla Carola Wied beendet, die , wie sie sagt, aus Prinzip nicht in Talkshows gehe, aber für "Beckmann" mal eine Ausnahme gemacht habe. Es war also ein ganz normaler Tag: keine Programmänderungen, keine Sensationsmeldungen, einfach ein Montag unter vielen. Und gerade deshalb gibt es nichts Schöneres, als endlich abzuschalten.
Mehr als dreieinhalb Stunden schaut jeder Deutsche täglich fern, natürlich: im Durchschnitt. Und man wagt sich kaum vorzustellen, was das für Menschen sind, die in dieser Statistik den Konsum derjenigen ausgleichen, die selten oder gar nicht einschalten. Dreieinhalb Stunden Fernsehen sind eine Herausforderung. Alles darüber hinaus ist Wahnsinn. Und das liegt nicht mal daran, dass es im Fernsehen keine Qualität gibt, wie gerne pauschal behauptet wird - ganz im Gegenteil: Am Abend zeigt das Erste zur besten Sendezeit nach der "Tagesschau" den Film "Willkommen zu Hause" über einen jungen deutschen Soldaten, der nach seinem Einsatz in Afghanistan traumatisiert heimkehrt.
Im ZDF läuft gleichzeitig der dritte Teil des Dokudramas "Die Wölfe" über eine Jugendclique zur Zeit des Mauerbaus. Pro Sieben zielt mit den "Simpsons" aufs junge Publikum und RTL holt den nächsten Quotenrekord mit seiner Help-Show "Rach, der Restauranttester", in der Sternekoch Christian Rach schlecht laufende Restaurants wieder auf Vordermann bringt, und zwar ohne dass dabei die Kandidaten vorgeführt oder Anstandsregeln verletzt werden müssen.
Das Problem ist nicht die Qualität. Das Problem ist, dass, wenn die guten Programme gelaufen sind, noch soviel Zeit übrig ist, die die Sender mit Unsinn füllen. Entweder - wie Sat.1 mit seinen Gerichtsshows - weil sich die Programme günstig produzieren lassen und damit leicht Geld verdient werden kann. Oder weil sie - wie ARD und ZDF am Nachmittag - glauben, denselben Quatsch wie die Konkurrenz senden zu müssen, um nicht noch mehr Zuschauer zu verlieren.
Um kurz nach halb neun morgens fängt der Fernsehtag erst einmal mit Service-Tipps an. Das "ARD-Morgenmagazin" erklärt seinen Zuschauern, wie die beim Putzen fit bleiben können: locker aus dem Oberkörper wischen, Po-Muskeln anspannen, das ist wie "Zirkeltraining zu Hause". Zur gleichen Zeit berichtet die Moderatorin des Sat.1-Frühstücksfernsehens über den Lotto-Wahnsinn des vorangegangenen Wochenendes und bedauert: "Die wenigsten von uns haben den Jackpot geknackt". Anschließend zeigt RTL Dokusoaps, die quasi ein Menschenleben im Schnelldurchlauf beschreiben: 9.30 Uhr "Mitten im Leben", 10.00 Uhr "Mein Baby", 11.00 Uhr "Die Kinderärzte", 11.30 Uhr "Unsere erste gemeinsame Wohnung". Fehlt bloß: "Unsere schönste Beerdigung".
Für Menschen, die es gewohnt sind, morgens zu frühstücken und dann zur Arbeit zu gehen, muss es eine Qual sein, die Zeit bis zum Abendprogramm stattdessen vor dem Fernseher zu verbringen. Weil es irgendwann einen Punkt an diesem Tag gibt, an dem man alles weiß über die Schulden von Amy Winehouse und die Peinlichkeiten von Paris Hilton.
RTL und ProSieben bestreiten große Teile ihres Mittagsprogramms mit Meldungen über einige wenige Skandalpromis, von denen es jeden Tag neue Unglaublichkeiten zu berichten gibt, die aus Boulevardblättern abgeguckt sind. Die übrige Zeit kleistern die Sender mit Dokusoaps zu, die das vermeintlich wahre Leben zeigen sollen. ProSieben ist da Spezialist: Die tägliche Reihe "We are Family" beschreibt den Alltag von Hartz-IV-Empfängern, dauerbetrunkenen Teenagern und Frauen, die ohne Brust-OP nicht mehr weiterleben wollen. Im vergangenen Jahr hat auch RTL gemerkt, dass diese Sozialdramen ideales Programm für den Nachmittag sind und zeigt seitdem "Mitten im Leben", wo an diesem Montag zwei Teenager, die für fünf Tage die Familie tauschen und sich nachher gegenseitig anschreien, wie beschissen sie ihre Tauschfamilie fanden. Die Idee stammt eigentlich vom "Frauentausch" bei RTL 2, aber die Sender kopieren sich gegenseitig so oft, dass man das kaum noch auseinander halten kann. Mit wenigen Ausnahmen ist das Nachmittagsprogramm der großen Privatsender das beste Argument für Kritiker, die das Fernsehen gerne für den Untergang unserer Kultur verantwortlich machen würden. ARD und ZDF, die es eigentlich besser machen könnten, haben dem kaum etwas entgegen- zusetzen.
Wer nach 14.00 Uhr im Ersten und im Zweiten Informationen erwartet, muss sich mit Kurzausgaben von "Tagesschau" oder "heute" zufrieden geben. Die meiste Zeit laufen Telenovelas, Zoo-Dokusoaps und Kochshows wie "Die Küchenschlacht" mit Horst Lichter im ZDF, der schon am Morgen im ZDF-Servicemagazin "Volle Kanne" zu Gast war, um auf seine Sendung am Mittag hinzuweisen.
Während im Ersten bei "Panda, Gorilla & Co." eine sehr vernünftige Schwarzbärmama ihr Junges von der Kamera wegzerrt, läuft im digitalen Informationskanal Eins Extra ein langer Hintergrundbericht zum Ausbildungsmarkt in Deutschland, eines der Themen des Tages. Montags bis freitags von 9.00 bis 20.00 Uhr zeigt die Redaktion ARD-aktuell aktuelle Nachrichten, jede Viertelstunde mit einem neuen Schwerpunktthema - nur eben nicht im Ersten, in dem tagsüber für Hintergrundinformationen kein Platz mehr ist, sondern in einem Digitalprogramm, das bisher nur von einem Bruchteil der Gebührenzahler gesehen werden kann.
Die selbst ernannten "Nachrichtensender" N24 und n-tv sind am Nachmittag jedenfalls keine Alternative. N24 ist "Auf Streife" und sieht Leipziger Verkehrspolizisten dabei zu, wie sie Radfahrer anhalten, die in der falschen Richtung auf Radwegen unterwegs sind - was könnte es Spannenderes geben an diesem Tag? Bei n-tv läuft etwas später ein Film über Löschzüge, in der Reihe "Super Factories".
Und das ist immer noch harmlos gegen die Boulevardmagazine der öffentlich-rechtlichen Konkurrenten, die ab 17.00 Uhr "Brisant" (Das Erste) und "hallo deutschland" (ZDF) auf Sendung schicken. Sie zeigen Berichte über vermeintliche Promis, die bei RTL nicht mal ins Dschungelcamp gelassen würden, oder berichten detailreich über Großunfälle auf Autobahnen - gerne auch mit Bildern abgedeckter Leichen.
An diesem Montag ist es ruhiger: "hallo deutschland" startet mit Bildern aus Düsseldorf, wo ein Autofahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und in das Kinderzimmer eines Hauses raste - allerdings ohne dass es Verletzte gab. Außerdem lässt das ZDF Prinz Frédéric von Anhalt eine Rente vom deutschen Staat einfordern und hat zwei Frauengruppen zum 26-Stunden-Urlaub nach Mallorca begleitet. Wer danach zu "Explosiv" bei RTL oder "Das Sat.1-Magazin" umschaltet, merkt keinen Unterschied.
Dann ist es kurz vor 19.00 Uhr, die ARD hat alle ihre Soaps weggesendet, bei RTL informiert Peter Kloeppel in "RTL aktuell" über die Tagesereignisse, "heute" im ZDF legt noch etwas nüchterner nach - und auf einmal ist Platz für Informationen und intelligente Unterhaltung, ein Programm also, das sich in Anspruch, Aufwand und Relevanz massiv von dem vor 19.00 Uhr gezeigten unterscheidet, vor allem, weil zur "Primetime" die meisten Menschen vor dem Fernseher sitzen. Dass es viele Sender aufgegeben haben, in der übrigen Zeit Sendungen zu machen, die sich auch für Zuschauer eignen, die nicht bloß auf der Couch sediert werden wollen, ist das eigentlich Beklagenswerte.
Wobei dieser zufällig ausgewählte Montag zumindest am Abend deutlich mehr zu bieten hat als manch anderer Fernsehtag, der einem aufgrund fehlender Programmalternativen in Erinnerung geblieben ist. Dass dazu auch die Dritten Programme der ARD beitragen, von denen man sonst den Eindruck bekommen könnte, sie sendeten neben den knapp dosierten Regionalinformationen nur noch Quizshows und Spielfilmwiederholungen, ist besonders erfreulich: Der WDR zeigt in der Reihe "die story" eine Reportage, die sich mit dem "Giganten Gazprom" kritisch auseinandersetzt. Im SWR diskutieren Wolfgang Schäuble und Renate Künast bei "2 + Leif" über Integrationspolitik. Und der NDR sendet den Auftakt zur Dokureihe "Meine DDR" - wenn auch erst zu später Stunde. So abwechslungsreich kann deutsches Fernsehen sein, auch wenn die Euphorie schnell vorbei ist, sobald man auf der Fernbedienung aus Versehen RTL 2 einstellt.
Dort läuft die "Entscheidungsshow" des TV-Experiments "Big Brother", über das sich neun Jahre nach der ersten Staffel kein Mensch mehr aufregt. Wegen schlechter Zuschauerzahlen musste der Sender sein Programm Anfang des Jahres aufpeppen und ließ Pornostar Annina einziehen, die seitdem täglich in der Boulevardpresse ist, weil sie nackt duscht, was RTL 2 ganz gut passt, da über die Aufregung dann wieder in der Sendung berichtet werden kann und die Busenbilder nochmal gezeigt werden können. Die Zuschauerzahlen steigen wieder. So einfach kann Unterhaltung sein. So ein Fernsehtag bestätigt im Grunde alle Vorurteile, die über unser Fernsehen im Umlauf sind, nicht erst seit Marcel Reich-Ranicki im Jahr 2008 seine öffentliche Generalkritik los wurde - vermutlich ohne überhaupt das Schlimmste von dem gesehen zu haben, was da täglich durchs Programm flimmert. Zugleich ist das Nonstop-Fernsehen aber aufschlussreich, weil dabei Programme zu entdecken sind, denen man ansieht, dass sie mit Sorgfalt und Begeisterung gemacht wurden. Das Fernsehen ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Es macht es seinen Zuschauern nur schwer, zwischen all dem Mist die Sendungen zu entdecken, für die es sich wirklich einzuschalten lohnt.