STAATSZIEL
Bundestag stimmt diese Woche über FDP-Gesetzentwurf ab
Wenn definiert wird, was den Menschen charakterisiert, wird die Kultur als erstes genannt. Wenn allerdings darüber gestritten wird, wo Kommunen einsparen können, werden Ausgaben für Theater, Museen und Festivals meist ebenfalls als erstes erwähnt. Seit vielen Jahren schon streiten sich Politiker darüber, ob die Kultur mit der Erwähnung als schützenswertes Gut im Grundgesetz nachhaltiger gefördert werden kann. Am 19. Juni wird ein Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ( 16/387), mit dem sie sich für ein Staatsziel Kultur einsetzt, im Bundestag abschließend beraten.
"Der Staat schützt und fördert die Kultur." Dieser Satz soll nach dem Willen der Liberalen als Artikel 20b ins Grundgesetz aufgenommen werden. Als "notwendige Ergänzung einer früheren Ergänzung" bezeichnet FDP-Kulturexperte Hans-Joachim Otto das Vorhaben im Gespräch mit dieser Zeitung. Denn in Artikel 20a ist seit dem Jahr 2002 der Schutz der "natürlichen Lebensgrundlagen" und der Tiere festgehalten. "Natur und Kultur sind zwei Seiten einer Medaille, deswegen müssen durch den Staat geschützt werden", sagt Otto.
Kulturpolitiker aller im Bundestag vertretenen Fraktionen teilen Ottos Sicht. So wurde im Abschlussbericht der Enquetekomission Kultur ( 16/7000) einstimmig die Aufnahme der Kultur in die Verfassung gefordert. Das Staatsziel würde Kultur als "Teil unserer nationalen Identität" verdeutlichen, ist sich Siegmund Ehrmann (SPD) sicher. "Neben dem Umweltschutz bedarf es auch des Schutzes der geistig-ideelen Grundlagen", meint Ehrmann. "Man wird sich davon keine Theaterkarten kaufen können, aber ich verspreche mir einen Bewusstseinsschub", sagt Lukrezia Jochimsen (Die Linke). Auch die Grünen befürworteten das Ziel, sagt deren Kultur-Expertin Katrin Göring-Eckardt.
Zu den Staatszielen, die schon ins Grundgesetz aufgenommen wurden, gehören die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und das Sozialstaatsprinzip. Über die Kultur sind sich Experten seit Jahren uneinig. So veranstaltete die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat schon im Juni 1992 eine Anhörung zum Thema Staatsziele und Grundrechte. Die Mehrheit der Sachverständigen sprach sich damals gegen eine Aufnahme ins Grundgesetz aus. Auch die damalige Bundesregierung lehnte das Ansinnen ab. Sie begründete ihre Haltung damit, dass die Kulturstaatlichkeit Deutschlands bereits in den bestehenden Vorschriften der Verfassung niedergelegt sei. Bei einer Anhörung des Rechtsausschusses im Jahr 2007 fanden Experten keinen Konsens.
Ein oft genanntes Problem ist die unsichere Wirkung des Staatsziels. Zwar verweisen Otto, Ehrmann und Jochimsen auf die Signale, die vom Verfassungsrang der Kultur ausgehen könnten. Gerade in der Finanzkrise, in der besonders gespart werden müsse, könnten Kultureinrichtungen und -veranstaltungen ihren Wert etwa bei Verhandlungen um kommunale Haushalte deutlicher machen. Doch mit der Aufnahme als Staatsziel sind keine konkreten Verpflichtungen verbunden.
Zum Zweiten ist Kultur nicht das einzige diskutierte Staatsziel. Zur Debatte stehen außerdem etwa Sport, Kinderschutz und Generationengerechtigkeit. "Dem Alleinstellungsmerkmal Kultur wird durch die vielen anderen Bestrebungen nicht Rechnung getragen", sagt Wolfgang Börnsen, kulturpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Deswegen wolle seine Fraktion zunächst eine Einigung darüber herbeiführen, welche Ziele tatsächlich aufgenommen werden sollten.
Der Rechtsausschuss, der den FDP-Gesetzentwurf federführend beraten hat, empfiehlt, ihn abzulehnen ( 16/12843). Sollte es nach der Bundestagswahl zu einer schwarz-gelben Koalition kommen, werde er sich aber dafür einsetzen, dass das Staatsziel Kultur in den Koalitionsvertrag aufgenommen werde, kündigt FDP-Experte Otto vorsorglich an.