KRIEGSGESCHICHTE
Martin van Crevelds Sicht auf die Veränderungen des Krieges
Als US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 auf einem Flugzeugträger die Kampfhandlungen im Irak für "weitgehend beendet" erklärte, irrte er sich. Die eigentlichen Kämpfe sollten erst noch beginnen. Nachdem die amerikanische High-Tech-Armee die irakischen Truppen innerhalb weniger Tage überrannt hatte, entbrannte der Krieg im Irak erst. Mehr als 4.000 US-Soldaten sind seit Bushs martialischer Flugzeugträger-Show im Irak ums Leben gekommen. In jüngster Zeit scheint sich die Lage zu stabilisieren. Unterdessen hat sich die Situation in Afghanistan deutlich verschlechtert. Die schon totgesagten Taliban machen dort den Nato-Truppen das Leben immer schwerer.
Ob im Irak oder in Afghanistan - für Martin van Creveld befinden sich reguläre Streitkräfte im Kampf gegen Aufständische in einer Sackgasse. Der für seine faszinierenden Studien bekannte und für seine provokanten Thesen berüchtigte israelische Militärhistoriker, Jahrgang 1949, hat sich mit einem neuen Buch zurückgemeldet. Mit diesem Überblick über den "Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute" will er die Frage beantworten, ob es einen Ausweg aus dem militärischen Dilemma gibt oder "ob staatliche Armeen künftig zur Ohnmacht gegenüber (…) Gruppen von Terroristen verdammt" sind.
Sehr pointiert stellt van Creveld die Entwicklung der Militärgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Obwohl sich die Kriegsführung im Ersten Weltkrieg von der im Zweiten in vielerlei Hinsicht unterschied, überwiegen für van Creveld die Parallelen: "Am Ende verloren jene, die wie die Deutschen und Japaner weniger Ressourcen besaßen."
Die größte Zäsur in der militärischen Entwicklung war der Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Die Zerstörungskraft ihres atomaren Waffenarsenals schreckte fortan die beiden Supermächte Sowjetunion und USA vor einem Dritten Weltkrieg ab. Für van Creveld steht fest: Atomwaffen haben "die Welt zu einem viel sichereren Ort gemacht, nicht zu einem gefährlicheren". Für den Leser nicht zwingend nachvollziehbar, ist es für van Creveld angesichts der großen Abschreckungsmacht nuklearer Waffen völlig verständlich, dass etwa Nordkorea oder Iran nach Atombomben streben: "Mit Blick auf das Schicksal Saddam Husseins, hat ein Herrscher in Teheran allen Grund, so schnell wie möglich in den Besitz solcher Waffen zu kommen."
Van Creveld beschreibt, wie die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus auftauchte. Dieses Phänomen bezeichnet er als "so alt wie die Geschichte der Menschheit". Leider differenziert er kaum zwischen Terroristen, Partisanen oder Guerillas. Für deutsche Ohren klingt es irritierend, wenn Partisanen im Kampf gegen die Wehrmacht als "Terroristen" bezeichnet werden. Doch auf derlei Befindlichkeiten nimmt Martin van Creveld ohnehin keine Rücksicht. Die Gräuel der Nazis vergleicht er ungerührt mit den Methoden anderer Staaten im Kampf gegen Untergrundarmeen: "Der vielleicht größte Unterschied zwischen den Nazis und den übrigen Mächten bestand darin, dass erstere sich nicht so heuchlerisch verhielten."
Ob demokratische Streitkräfte oder Armeen von Diktaturen - im Kampf gegen Aufstände und Terroristen tun sich reguläre Truppen schwer. Van Creveld spricht von einer "ununterbrochenen Liste des Scheiterns". Als Hauptursache nennt er die Demoralisierung regulärer Truppen. Ein Phänomen, das sich ausbreitet, wenn Soldaten im Kampf gegen oft unsichtbare Gegner ohne Erfolgserlebnisse und ohne absehbares Ende der Kampfhandlungen eingesetzt werden. Henry Kissinger formulierte dies einmal so: "Die Ordnungskräfte (…) verlieren, weil sie nicht gewinnen. Rebellen hingegen gewinnen dadurch, dass sie nicht verlieren."
Wie dies verhindert werden kann, versucht van Creveld an zwei historischen Beispielen zu zeigen, die gegensätzlicher kaum sein könnten: der Eindämmung des Nordirlandkonflikts durch die britische Armee auf der einen Seite und der Vernichtung der Muslimbrüder in Syrien auf der anderen. Während die Briten mit viel Geduld, maßvollem Waffeneinsatz, dem Verzicht auf Kollektivstrafen und Disziplin verhinderten, dass aus der IRA eine Massenbewegung wurde und so schließlich eine Lösung am Verhandlungstisch möglich wurde, setzte der syrische Präsident Assad 1982 auf rücksichtslose Gewalt. Die Stadt Hama, die als Hochburg der islamistischen Extremisten galt, ließ er von seiner schweren Artillerie dem Erdboden gleich machen. Zwischen 10.000 und 25.000 Menschen kamen dabei um - darunter viele Frauen und Kinder. Beide Methoden - die clever-sanfte britische und die brutale syrische - sind für van Creveld Erfolgsmodelle.
Bei westlichen Lesern werden seine Thesen Kopfschütteln hervorrufen: Wenn die Alternative Bürgerkrieg sei, "ist es besser, zu viele als zu wenige Menschen zu töten. Man muss hart zuschlagen". Derartige Einsatzdoktrinen sind mit dem Selbstverständnis demokratischer Streitkräfte kaum vereinbar - das sollten sie auch nicht sein. Und: Ob sich die britische oder die syrische Methode auf andere Konflikte übertragen lassen, darf bezweifelt werden. Syrien ist nicht Afghanistan und Nordirland nicht der Irak. Eine restlos überzeugende Antwort darauf, wie reguläre Streitkräfte im Kampf gegen Aufständische erfolgreich sein können, gibt van Creveld nicht. Da ergeht es ihm allerdings wie vielen anderen Autoren, die sich daran versucht haben.
Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute.
Siedler Verlag, München 2009; 352 S., 22,95 ¤