KRIEGSNACHRICHTEN
Ein Begleitband zur Ausstellung »Bilderschlachten« in Osnabrück
Was für eine Geste. Pablo Picassos "Guernica" - zugehängt. Jenes Bild, das es kubistisch zersplittert schafft, Kriegsgräuel so unnachahmlich anzuprangern. Die Abbildung von Horror in Schwarz-Weiß-Sepia, die als Teppich an der Wand vor dem Sicherheitsrat im New Yorker UN-Gebäude hängt, dort, wo Staatenlenker und Diplomaten vorbeigehen und ihre Statements in die Kameras sagen, sie war verdeckt von einem blauen Tuch an jenem Tag Anfang Februar 2003. Der damalige US-Außenminister Colin Powell war an diesem Tag zu Gast bei der UN. Er war gekommen, um seine mittlerweile legendäre Rede zu halten. Er zeigte Dias von Lastwagen, rollende Chemielabore im Irak, erklärte er, die Massenvernichtungswaffen herstellen. Sechs Wochen später begann der Krieg. Und ausgerechnet an jenem Tag war Picassos Antikriegsbild verhüllt.
Die geschilderte Episode ist paradigmatisch für "Bilderschlachten". Das Buch ist ein Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in Osnabrück (noch bis 4. Oktober 2009), jener Stadt, die sich gerne als "Friedensstadt" inszeniert. Anlass für die Schau ist, könnte man sagen, Osnabrücks Lage am Rande des Teutoburger Waldes: Die Erinnerung an das große Gemetzel, an 2000 Jahre Varusschlacht, wird in diesem Jahr groß gefeiert. Und nicht weniger als die Geschichte von "2000 Jahren Nachrichten aus dem Krieg" zusammenzutragen, verspricht "Bilderschlachten".
Im Krieg hat vor allem der Macht, der die Interpretationshoheit über Informationen hat. Nachrichten aus dem Krieg, das bedeutet seit jeher, dass Vertuschung, Geheimhaltung und Propaganda zusammenrutschen und die Wahrheit einen Tarnanzug trägt. Schon Varus' Sieg sei, so urteilt Martin Warnke in seinem Beitrag über "Computer-Kriegs-Spiele", letztlich "gezielten Falschmeldungen" zu verdanken gewesen. Das ist der Hintergrund, vor dem Aufsätze und Bildmaterial, Privatdokumente und Technikobjekte zusammengetragen wurden.
Doch das funktioniert nicht recht. Natürlich gibt es sie, die Glücksmomente des Buchs: Wenn Beiträge über Picassos verhängtes Antikriegsbild und afghanische Bildteppiche mit eingewobenen Handgranaten und einstürzenden Twin Towers hier zufällig zueinanderfinden; wenn die Analyse der Luftaufnahmen, die schon im Ersten Weltkrieg dazu dienten, den Raum des Gegners aus der Allmachtsperspektive zu durchdringen, auf "embedded journalists" trifft, die laut Michael Kunczik bereits seit Thukydides direkt von der Front berichteten. Die Perspektive verschob sich, die Perfidie der Informationskontrolle blieb.
Ganz wunderbar sind auch die vorgestellten Kunstwerke, die die Logik von Informationsvermittlung in Kriegszeiten kommentieren und zur Schau stellen. Gerhard Richter mit seinen Luftaufnahmen des zerstörten Düsseldorf, Iñigo Manglano Ovalles "Phantom Trucks" oder Christoph Schlingensiefs gefakte Radio-Spenden-Gala für Kriegsopfer "Lager ohne Grenzen".
Nur: Hier wurde zu viel gewollt. Gut, ein Ausstellungskatalog bezieht seine Legitimation daraus, die gezeigten Exponate vollständig zu verzeichnen. Doch die Präsentation von Begleittexten, seitenweise Exponatslisten und kommentierten Kunstwerken ist nicht mehr als ein Konglomerat. Das Buch vermittelt den Anspruch, auch jenseits der Ausstellung gültig zu sein. Doch genau an diesem Punkt wird es schwierig. Natürlich ist die Masse an Material, Anekdoten und Archivschätzen im positiven Sinne überwältigend, beeindruckend, lehrreich. Doch gleichzeitig macht eben das den Band schwergängig. Das Buch hat einfach zu viel geladen, um bei dem Bild zu bleiben, es laviert durch einen Ozean aus Angesammeltem und verliert dabei immer wieder den Kurs.
Das zeigt schon der Titel: Denn hinter "Bilderschlachten" steckt mitnichten ein Werk über visuell vermittelten Krieg. Eine klassische Desinformation nach Varus' Art, könnte man sagen. Der Band strotzt zwar vor hervorragendem Bildmaterial. Doch auf den 440 Seiten geht es viel allgemeiner um "Nachrichten aus dem Krieg" und wie sie via "Technik - Medien - Kunst" vermittelt werden.
Die Kapitel sind dementsprechend unterteilt in Mediengenres wie Funk, Telegrafie, Film, Fernsehen, Computer, Internet; lose darunter gemischt die Kapitel "Schlachtengemälde", "Antike", "Propaganda". Man möchte die Buchmacher schütteln, weil die strukturelle Orientierungslosigkeit dem Werk und seinem verrückt wundervollen Material die Kraft raubt. Eine konservative Ordnung nach Ereignissen, ein konsequenter Verzicht auf manches Thema und die Verbannung der Exponatslisten ans Ende des Buchs wäre hier nicht die schlechteste Lösung gewesen.
Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat jüngst einige Bücher veröffentlicht, die sich mit dem Visuellen von Geschichte auseinandersetzen; allen voran Gerhard Pauls phänomenaler zweibändiger Bilderatlas "Das Jahrhundert der Bilder". Der Ausstellungsband passt in dieses Portfolio. Aber er taugt nur für diejenigen, die sich am unschätzbaren Material erfreuen und über die Orientierungslosigkeit hinwegsehen.
Eines schafft das Buch: Es regt zum Nachdenken über die Frage an, ob Folterbilder veröffentlicht werden sollen. Man mag dabei feststellen, dass die Schreckensbilder so oder so wirken - die Macht, zu verbergen, kann so unheimlich sein wie der Blick auf die Bilder selbst.
Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009; 440 S., 29,90 ¤