NATURSCHUTZ
Nicht immer profitieren Flora und Fauna
In den malerischen Emsauen des Münsterlandes grasen friedlich Auerochsen. Eigentlich sind diese Tiere schon seit 1627 ausgestorben, doch in den 1930er Jahren begannen die Gebrüder Heck mit ihrer Rückzüchtung und heute kümmert sich der "Verein zur Förderung der Auerochsenzucht" um ihr Wohl.
Für den Naturschutzverband NABU ist dies ein Beispiel für "gelungenen Artenschutz" und "eine Attraktion für Naturfreunde". Für Peter Wohlleben hingegen ist das mächtige Tier in Wahrheit ein Wildrind "im Kostüm eines Auerochsen" und eines von vielen Beispielen von "Naturschutz ohne Natur", die er in seinem Buch beschreibt. Denn wenn gut meinende Tier- und Pflanzenschützer Rettungsnetze für die Wildkatze bauen, amphibienfreundliche Gärten anlegen oder die "Entfichtung" von Bachläufen vorantreiben, wird damit nach seiner Meinung das wünschenswerte Ziel der Aktionen oftmals nicht erreicht: der Erhalt oder die Rückkehr der Natur.
Völlig berechtigt stellt Wohlleben die zu selten gestellte Gretchenfrage, was Natur eigentlich ist. Und er kommt dabei zu dem nüchternen Ergebnis, dass es "echte Natur" in Mitteleuropa gar nicht mehr gibt. Landschaften wie Wälder, Felder und Auen, in denen wir uns so gerne erholen, seien lediglich Kunstprodukte. "Ein Fichtenforst in Mitteleuropa ist in etwa so natürlich wie eine Ölplantage in Indonesien", meint Wohlleben. Der studierte Forstwirt sehnt sich nach einem Stück echter Wildnis und möchte sich nicht damit abfinden, dass dieser Traum in Mitteleuropa ausgeträumt sein soll. Staatlichen und privaten Naturschützern unterstellt er zwar die besten Absichten. Gleichzeitig wirft er ihnen jedoch vor, veralteten Idealen, eigenen Interessen oder falschen Instinkten nachzuhängen.
Wohlleben, der 2006 seine Stellung aufgab, um in einem eigenen Waldgebiet Naturschutz nach seinen Vorstellungen zu praktizieren, legt den Finger in die Wunde: Zu Recht stellt er die "gute fachliche Praxis" der Landwirtschaft in Frage, nimmt kritisch als Naturschutz etikettierte Maßnahmen unter die Lupe und zeigt an vielen Beispielen, wie der "Bock zum Gärtner" gemacht wird. Nicht nur sein Naturbild, sondern auch sein Menschenbild bleiben dabei aber oftmals holzschnittartig: Ob Jäger, Naturschützer oder Fachleute, sie wissen nach seiner Lesart oftmals nicht, was sie tun und damit der Natur antun. Wohlleben zeigt Grenzen der Umweltpolitik auf. Einen Weg aus dem Dickicht ebnet er dem Leser damit allerdings nicht.
Naturschutz ohne Natur. Von den Grenzen der Umweltpolitik.
wjs Verlag, Berlin 2009; 149 S., 18 ¤