Sterbehilfe
Zwei US-Ärzte plädieren für eine konsequente Palliativmedizin
Die Mutter des amerikanischen Arztes Sidney Wanzer war an Alzheimer erkrankt, hatte aber frühzeitig in einer Patientenverfügung festgelegt, dass sie im Falle einer unheilbaren Erkrankung keine Verlängerung eines sinnlos gewordenen Daseins wünsche. Als sie im Pflegeheim eine Herzrhythmusstörung erleidet, wird der 92-Jährigen ein Herzschrittmacher eingesetzt, und sie lebt nach der Operation weitere fünf Jahre in einem umnachteten Zustand - ohne jede Würde und in Widerspruch zu dem, was von ihr zuvor bei vollem Bewusstsein schriftlich niedergelegt worden war.
Sidney Wanzer schildert in seinem Buch "Gut sterben" den quälend langen Sterbeprozess seiner Mutter detailliert sowie viele andere ergreifende Fälle, in denen Menschen keine Möglichkeit hatten, selbstbestimmt und friedlich zu sterben. Zusammen mit seinem Kollegen Joseph Glenmullen plädiert er, unter Hinweis auf den demografischen Wandel, mit Nachdruck für eine Wende in der Betreuung schwerkranker Patienten. Sobald keinerlei begründete Hoffnung mehr auf Heilung oder Genesung besteht, hält er es für die erste und vordringliche Aufgabe des Arztes, von der "kurativen Behandlung zur palliativen Versorgung" überzugehen, das heißt nicht mehr heilen zu wollen, weil es nichts mehr zu heilen gibt, sondern eine beschwerdefreies Lebensende zu ermöglichen. Alle erforderlichen Maßnahmen zur Linderung von Schmerzen, einschließlich der ausreichenden Verabreichung vom Morphium, seien jetzt anzuwenden. Wenn der Patient rechtzeitig verfügt habe, dass er im Falle einer unheilbaren Erkrankung lebensverlängernde Maß- nahmen ablehnt, sei dies uneingeschränkt zu befolgen. Dass schweres Leiden schicksalhafter, unvermeidbarer Bestandteil des menschlichen Lebens sei und Schmerzen eine gottgewollte Prüfung, ist für Wanzer und Glenmullen eine überholte Position religiöser Fundamentalisten, an der sich ihrer Überzeugung nach kein verantwortungsbewusster Arzt orientieren sollte.
Nach dem vor wenigen Wochen vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetz sind ab 1. September 2009 geschlossene Patientenverfügungen gesetzlich verbindlich und haben lebensverlängernde Maßnahmen bei unheilbar Kranken zu unterbleiben, wenn dies der Patient schriftlich niedergelegt hat. Damit besteht nunmehr auch in Deutschland Rechtssicherheit, voll und ganz im Sinne der von Walzer und Glenmullen vertretenen Standpunkte.
Die beiden Autoren gehen jedoch noch einen Schritt weiter und befürworten nicht nur passive Sterbehilfe, sondern halten auch eine Verkürzung des Lebens dann für vertretbar, wenn das Endstadium einer tödlichen Krankheit diagnostiziert worden ist, keine Schmerztherapie anschlägt und sich der Patient bei noch klarem Bewusstsein vorausschauend dafür ausgesprochen hatte. Sie verweisen auf das im US-Staat Oregon 1997 in Kraft getretene Sterbehilfegesetz, das dem Arzt erlaubt, einem unheilbar Kranken Medikamente zu verschreiben, mit deren Hilfe der Patient sein Leben beenden kann. Wie die Autoren betonen, ist es bisher in Oregon weder zu einem Missbrauch noch zu Verstößen gegen das Gesetz gekommen, und nur einer von 1.000 Todesfällen durch dieses Sterbehilfegesetz ermöglicht worden.
Ähnliche Sterbehilfegesetze bestehen seit einigen Jahren in den Niederlanden, in Belgien und Luxemburg, während Schweizer Ärzte bereits seit 1942 Beihilfe zum Suizid leisten dürfen. Obwohl sich in Meinungsumfragen eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung wiederholt für eine Zulassung ärztlicher Sterbehilfe ausgesprochen hat, ist in Deutschland jede aktive Form lebensverkürzender Maßnahmen untersagt.
In Deutschland spielt sicherlich die Erinnerung an die grauenhaften Euthanasie-Verbrechen während der Nazizeit eine erhebliche Rolle, als 300.000 behinderte Menschen kaltblütig umgebracht wurden. Eine Parallelität von rassistisch motivierten Morden und ärztlicher Sterbehilfe auf Wunsch des Patienten ist für die Autoren rational jedoch nicht nachvollziehbar. Mit großem Ernst verweisen sie darauf, wie wichtig die Beachtung streng gefasster Regeln ist, dasss stets zwei von einander unabhängige Ärzte herangezogen werden, dass der Patient sich das Medikament selbst verabreicht, die Angehörigen informiert sind, das Gesundheitsamt unterrichtet ist und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen überprüfen kann. Ein eigenmächtiges Eingreifen des Arztes lehnen die Autoren entschieden ab.
Gerade für deutsche Leser dürften die Überlegungen von Walzer und Glenmullen äußerst hilfreich sein. Sie liefern präzise Informationen, wie eine Patientenverfügung abgefasst sein sollte, wer als Vorsorgebevollmächtigter in Frage kommt, welche Organisationen für Sterbehilfe und Sterbebegleitung es gibt, wie sich die Angehörigen auf den Ernstfall einstellen können und welche Rechte der Sterbende hat. Ein ausführliches Kapitel ist der irreversiblen Demenz gewidmet.
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland bis 2050 mehr als vier Millionen Menschen pflegebedürftig sein werden und in deutschen Krankenhäusern, wie Wolfgang Prosinger in einem Nachwort feststellt, gegenwärtig 70 bis 80 Prozent der Patienten unter Qualen sterben, weil es an ausreichender schmerzlindernder Therapie fehlt, ist der Studie der beiden US-Ärzte eine weite Verbreitung zu wünschen.
Gut sterben. Würdevoll, friedlich, selbstbestimmt.
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt 2009; 264 S., 18,80 ¤