VON CLAUDIA HEINE
Der Zeitgeist packt seine Koffer und zieht um: von den hektischen Szenevierteln der Großstädte hinaus aufs Land. Getrieben von der Sehnsucht nach echten Naturerlebnissen und Entschleunigung, kurz: nach dem wahren Leben, den einfachen Dingen. Mit zur Reisegruppe gehören die Medien. Kein Magazin, keine Wochenendbeilage, die die neue Lust an der Gärtnerei noch nicht zum Trend erklärt hat. Da bepflanzen und begrünen New Yorker Bürger brachliegende Flächen - wenn es sein muss, auch im 17. Stock. Da stimmen Berliner Mittdreißiger - vorzugsweise mit Kindern - das Loblied auf den guten alten Schrebergarten an. Dirigiert wird dieser muntere Chor von einem Newcomer: "Landlust", das Magazin zur Verbreitung des guten Geschmacks in der Provinz, gehört zu den erfolgreichsten Neugründungen auf dem deutschen Zeitungsmarkt der vergangenen Jahre.
Doch was steckt hinter dem modischen Anstrich? Was kommt zum Vorschein, wenn man die Koffer des Zeitgeistes auspackt und Lage für Lage die Erwartungen herausnimmt? Sieht man dann immer noch die ländliche Idylle vor sich, die den Widrigkeiten der Moderne die Stirn weist? Erkennt man den enormen Strukturwandel, mit dem ländliche Regionen konfrontiert sind?
Die Themenausgabe geht Fragen wie diesen nach. Sichtbar wird dabei, dass es die ländliche Idylle genauso gibt wie die Sehnsucht danach. Man kann aber gleichzeitig nicht die Augen verschließen vor den großen demografischen Veränderungen, die das Gesicht der Provinz in den kommenden Jahren nachhaltig verändern werden. Abwanderung junger, qualifizierter Fachkräfte und Überalterung hinterlassen heute schon dramatische Leerstellen auf dem Land - vor allem im Osten der Republik, zunehmend aber auch im Westen.
Diese Verluste zu erkennen, ist nur ein Teil der Auseinandersetzung. In einem nächsten Schritt müssen Perspektiven für die betroffenen Regionen entwickelt werden. Denn: Es gibt sie, und diese Ausgabe zeigt, wie Bürgermeister, Verbände und Einwohner an der Zukunft ihrer Dörfer und Gemeinden arbeiten. Das Engagement vor Ort spielt eine zentrale Rolle, aber es muss sich auch wiederfinden in politischen Rahmenbedingungen, die diese Initiativen fördern anstatt sie zu blockieren.
Die Zukunft der ländlichen Regionen ist eng mit deren Wirtschaftskraft verknüpft, die immer weniger von der Landwirtschaft geprägt wird. Hochindustrialisierte Agrarbetriebe mit wenig Personal versorgen heutzutage hundertmal mehr Menschen als es die landwirtschaftlichen Betriebe Anfang des 20. Jahrhunderts konnten. Neue Wege werden auch dort beschritten, mit Projekten zur Direktvermarktung aber auch mit der Einbindung der Landwirtschaft in Tourismuskonzepte. Schließlich entwickelt sich der Dienstleistungssektor zu einem immer bedeutenderen Arbeitsplatzanbieter auf dem Land. Der Strukturwandel hat viele Seiten. Diese Ausgabe präsentiert einige davon.