SAARLAND
Die Linke wirbelt in ihrer westlichen Hochburg alles durcheinander. Das macht die anderen nervös, denn fast alle Bündnisse scheinen möglich
Fiebernde Aufregung wühlt in diesen Tagen das Saarland nicht auf. Zwar sind die Straßenränder mit Wahlplakaten zugekleistert. Doch man vermisst Massenmeetings, bei denen die Parteimatadore die Stimmung hochpuschen. An Kneipentresen erhitzen sich selten die Gemüter. Die Spitzenkandidaten pilgern in der Ferienzeit vor allem auf Goodwill-Tour über zahllose Volksfeste.
In Kontrast zur dahinplätschernden Wahlkampfszenerie vor dem 30. August stehen indes heftige Attacken, mit denen sich die Kontrahenten in Parteitagsreden, Presseerklärungen und Medieninterviews überziehen. Ministerpräsident Peter Müller (CDU) beschimpft Oskar Lafontaine von der Linkspartei schon mal als "begnadeten Demagogen" oder "Trickbetrüger der deutschen Politik". Der CDU-Politiker wirft Heiko Maas vor, "herumzueiern" und in Wahrheit ein rot-rotes Bündnis anzustreben, was "schlimm für unser Land" wäre. Der SPD-Oppositionsführer kritisiert die CDU als "skrupellos beim Kampf um die Macht". Über Müller und Lafontaine lästert Maas so: "Der eine ist von gestern, der andere von vorgestern." Keineswegs mundfaul ist auch "Oskar", wie er von Anhängern immer noch bejubelt wird: Müller sei "für dieses Land eine Zumutung", er gehöre "in die Wüste geschickt", weil er etwa eine "Feindschaft zum Bergbau" hege.
Christoph Hartmann, Nummer eins der FDP, macht Lafontaine als "Foul-Spieler" nieder und bringt sich bereits als Bildungs- oder Wirtschaftsminister einer schwarz-gelben Koalition ins Gespräch. Grünen-Chef Hubert Ulrich wirft Lafontaine "Lüge" vor, weil der seiner Partei eine Vorliebe für "Jamaika"" unterstelle.
In solchem Getöse steckt neben Wahlkampfpfeffer auch eine Portion Nervosität angesichts der Unübersichtlichkeit vor dem Votum der Wähler. Die Saar steht vor einer Revolution, was vor allem damit zu tun hat, dass Die Linke in ihrer westlichen Hochburg mit ihrem bei einem Teil der Bevölkerung nach wie vor populären Star Lafontaine alles durcheinander wirbelt.
Sicher scheint bisher nur zu sein, dass die Union die Messlatte von 47,5 Prozent aus dem Jahr 2004 drastisch unterbieten und auch mit den Liberalen eine Mehrheit kaum schaffen dürfte. Doch was ist die Alternative? Große Koalition? Rot-Rot? Rot-Rot-Grün? Jamaika? Rot-Gelb-Grün? Von den drei Landtagswahlen am 30. August (Thüringen und Sachsen wählen auch noch) ist jene an der Saar die spannendste.
Basis der Spekulationen sind zwei Umfragen, die indes mehrere Monate alt sind. Im Auftrag der Staatskanzlei ermittelte Emnid für die CDU 38 Prozent, Infratest-Dimap nur noch 36 Prozent - die auf sieben bis neun Prozent taxierte FDP dazu gerechnet, käme das bürgerliche Lager lediglich auf 45 Prozent. SPD und Linke verbuchen zusammen ebenfalls 45 Prozent: Emnid misst der SPD magere 23, Lafontaines Truppe 22 Prozent zu, Infratest-Dimap verortet die SPD bei 27, die Linke bei 18 Prozent. Als Zünglein an der Waage dürfen sich die Grünen fühlen, denen die Demoskopen bis zu sieben Prozent geben. Inhaltlich dreht sich der Streit vor allem um die Wirtschafts- und Bildungspolitik. Müller sucht mit dem Hinweis zu punkten, unter seiner Regentschaft habe sich die Saar beim Wirtschaftswachstum und bei der Erwerbslosenquote ins vordere Drittel der Bundesländer vorgearbeitet; an den Schulen sei die Unterrichtsqualität verbessert worden. Zwischen SPD und Linkspartei offenbaren sich bei näherem Hinsehen keine großen Unterschiede. So kritisiert man übereinstimmend den an der Saar besonders starken Niedriglohnsektor. Lafontaine wirft Müller vor, keine bedeutsame Investition an Land gezogen zu haben. Beide Parteien wollen die Studiengebühren abschaffen. Statt des verpflichtenden achtjährigen Gymnasiums, das viel Ärger provoziert hat, soll es eine Wahlmöglichkeit zwischen G 8 und G 9 geben, mehr Ganztagsschulen sollen entstehen.
Konjunktur haben freilich besonders Koalitionsspiele. Auffallend ist, dass Müller und Maas das Thema Große Koalition umschiffen - aber auch nicht definitiv ausschließen. Müller und Hartmann hoffen, dass Schwarz-Gelb noch eine Mehrheit erreicht. Maas hält sich alle Optionen offen, auch Rot-Rot ist für ihn drin - allerdings nur, wenn die Linke der schwächere Partner ist Maas setzt darauf, dass die SPD "auf der Zielgeraden noch gewinnen" kann, bei den Kommunalwahlen im Juni habe die CDU nur vier Prozent vor der SPD rangiert.
Lafontaine greift nicht nur Müller, sondern auch Grünen-Matador Ulrich an, dem er vorhält, ein Jamaika-Bündnis anzustreben: "Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern". Offenbar kalkuliert "Oskar", die Grünen aus dem Landtag kegeln zu können: Läge dann Rot-Rot vor Schwarz-Gelb, wäre ein Regierungswechsel prinzipiell drin.
Die Grünen stecken in einem Dilemma: Nach Umfragen ist ihre Anhängerschaft gespalten in strikte Gegner von Müller oder Lafontaine. Als Ausweg wäre Ulrich ein Bündnis mit SPD und FDP "am liebsten": Doch diese Konstellation ist rechnerisch die unwahrscheinlichste. Im Übrigen wirft ein Zusammengehen von Liberalen und Grünen politisch Probleme auf: Ulrich will unbedingt noch repressiver gegen Raucher vorgehen, die FDP hingegen will es Gastronomen freistellen, ob in ihrem Lokal geraucht werden kann oder nicht.
Am 30. August wird der Saarbrücker Politikbetrieb vor der TV-Prognose um 18 Uhr jedenfalls den Atem anhalten: So ziemlich alles in drin.