PARTEIEN
Thomas Leif über mangelnden Nachwuchs und die etablierten Kräfte
Wer hätte gedacht, dass es in der Jungen Union so locker zugeht? Nach endlosen Sitzungen und Diskussionen geht man gemeinsam einen trinken, feiert fröhlich und ausgelassen am nächstgelegenen Badesee. So halten es einige konservative Nachwuchspolitiker aus Bremen, wie die Jungjournalistin Tina Groll zu berichten weiß. Sie hat im Auftrag des Enthüllungsjournalisten Thomas Leif ein "Rechercheprojekt am eigenen Leib" durchgeführt, um herauszufinden, "wie der Einstieg in eine Volkspartei funktioniert". Und siehe da - es tut gar nicht so weh. Ganz im Gegenteil: Die eher linksliberale Journalistin im "zarten" Alter von 28 Jahren kommt nach ihren ersten Treffen mit Sandra Ahrens, der Vorsitzenden der Bremer Frauen Union, sogar auf den Geschmack an der Parteiarbeit. Entgegen all ihrer Vorurteile könnte die wirtschaftskompetente Akademikerin sofort mit anpacken. Wenn sie denn ernsthaft gewollt hätte. "Der Einstieg gelingt rasch, der Aufstieg dauert", so ihr Fazit nach dem aufschlussreichen Selbstversuch.
Ist parteipolitisches Engagement also wirklich so uncool, wie die politikmüde Jugend bisweilen glaubt? Nach der Leif-Lektüre ist man sich nicht ganz sicher. Sicher aber ist, das fast alle Parteien schon seit Jahren an Nachwuchsmangel leiden.
Die Ursachen liegen vor allem in den halbherzigen Rekrutierungsmaßnahmen, den unattraktiven Karrierewegen und dem schlechten Image, das Berufspolitikern noch immer anhaftet. Dieser Misere sind sich die Parteien zwar seit langem bewusst, wie Thomas Leif an zahlreichen "geheimen" Dossiers, Umfragen und Programmpapieren aufzeigt. Nur wollen die Führungsriegen an dieser Lage nichts fundamental ändern. Bedeutet doch jede Öffnung für Seiteneinsteiger zugleich ein Machtverlust für die etablierten Kräfte. Zugleich signalisieren Mitgliederschwund, Wählerverluste und Abschottung, dass es den Parteien verstärkt an demokratischer Legitimation mangelt. Darin besteht das eigentliche Problem. Und es wird nicht mit Führungsakademien oder Mentorenprogrammen gelöst, in denen eine immer schmalere Nachwuchsschicht an den politischen Alltag herangeführt und auf Linie gebracht wird.
Auch wenn der streitlustige Journalist deswegen mit den Parteien hart ins Gericht geht, enthüllt er diese Demokratiedefizite nicht, um die Organisationen und ihre Mitglieder bloßzustellen. Ihm geht es bei seinen politik- und sozialwissenschaftlich gestützten Analysen tatsächlich um Aufklärung und Veränderung. Selbst seine prominenten Interviewpartner aus der CDU oder der SPD, von den Linken oder von Bündnis 90/Die Grünen beklagen diesen Zustand glaubwürdig. Doch auch ihren Worten merkt man an, dass sie vor lauter Anpassung den Blick für die Interessen und Nöte ihrer eigenen oder der jüngeren Generation verloren zu haben scheinen. Sie nehmen die Ochsentour letztlich doch als selbstverständlich und notwendig hin, weil auch sie diesen Weg ansatzweise oder vollständig absolvieren mussten.
Das wird auch aus den Kurzbiografien hoffungsvoller Jungpolitiker jeglicher Couleur deutlich, die Leif am Ende auflistet. Ihre Karrierewege wird die 20- bis 40-Jährigen in diesem Lande wohl kaum zu mehr politischer Teilhabe ermuntern. Dazu müssen die Parteien wesentlich mehr Sensibilität für die Wünsche, Sorgen und Zwänge des potenziellen Nachwuchses entwickeln und ebenso attraktive und zeitgemäße Angebote machen.
Thomas Leif zeigt zwar "Auswege", die "mehr Demokratie durch mehr direkte Bürgerbeteiligung" schaffen sollen. Volksentscheide, Vorwahlen oder E-Partizipation werden den Parteien aber nicht unbedingt mehr Zulauf verschaffen. Doch eines machen seine Vorschläge deutlich: Beide Seiten müssen aktiv werden und aufeinander zu gehen. Volk und Volksvertreter.
Angepasst und ausgebrannt. Die Parteien in der Nachwuchsfalle. Warum Deutschland der Stillstand droht.
C. Bertelsmann, München 2009; 496 S., 22,95 ¤