GRIECHENLAND
Sozialisten gewinnen Parlamentswahl
Bereits drei Tage nach seinem überwältigenden Wahlsieg von 44 Prozent der Stimmen hat Georgios Papandreou, Chef der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) keinen Zweifel daran gelassen, dass er frischen Wind in die politische Landschaft Griechenlands bringen will.
Er hat dafür eine junge Politikergeneration in die Regierung geholt; für knapp zwei Drittel der 37 Kabinettsmitglieder ist es die erste Erfahrung an der Macht. Und noch eines haben die meisten der frisch vereidigten Minister und Staatssekretäre gemein: Sie gehören zu Papandreous engsten Vertrauten. Offensichtlich fühlt sich Papandreou immun gegen innerparteiliche Oppositionen, nachdem er am 4. Oktober mit 160 von 300 Parlamentssitzen eine bequeme Mehrheit errungen hat. Der Journalist Foibos Karzis brachte es auf den Punkt: "er hat alle Brücken zur alten Parteigarde eingerissen, jetzt muss er ohne sie über den Fluss kommen." Tatsächlich ist es ein reißender Fluss und Land ist nicht in Sicht. Denn der Sieg Papandreous ist vor allem eine Abwahl der alten Regierung Karamanlis. Der unterlegene Führer der konservativen Nea Dimokratia hat mit 33,5 Prozent das schlechteste Wahlergebnis der Parteigeschichte eingefahren. Nach fünfeinhalb Jahren konnten die Konservativen so gut wie keine Erfolge bei den versprochenen Strukturreformen vorweisen. Nicht transparent und effektiv haben sie regiert, sondern korrupt und unfähig für ein effektives Krisenmanagement, wie sich unter anderem bei den großen Waldbränden gezeigt hat. Die Wirtschaft steht am Rand des Staatsbankrotts.
Zeitgleich mit der Vereidigung des neuen Kabinetts, ließ Zentralbankchef Nikos Provopoulos wissen, dass sich das Haushaltsdefizit in diesem Jahr nicht etwa auf die befürchteten sechs Prozent, sondern auf über zehn Prozent belaufen werde - drei Prozent sind innerhalb der Eurozone erlaubt. Nach einer Hochrechnung der Weltbank wird die Staatsverschuldung im kommenden Jahr sogar auf 116,5 Prozent steigen. Die neue Regierung wird daher schon am 24. Oktober ein Maßnahmenpaket in Brüssel vorlegen müssen.
Papandreou will mit einem circa drei Milliarden schweren Konjunkturpaket die Wirtschaft ankurbeln. Doch kein Sparprogramm, auch möglichst keine Neuverschuldung, sondern ein rigoroses Aufräumen der Staatsfinanzen soll die Gelder dafür freisetzen. Allein 100.000 Staatsdiener haben die Konservativen während ihrer Amtszeit eingestellt. Fast ein Drittel des Haushalts werden von Beamtengehältern und -renten aufgezehrt. Dennoch würde es an "ein kleines Wunder" grenzen, kommentiert der Wirtschaftsjournalist Dimos Papachristou, "wenn den griechischen Sozialisten auf so schmerzlose Weise der Weg aus der Krise gelänge".
Einer Krise, die in einem Land ohne nennenswerte Schwerindustrie eher hausgemacht als global ist. Parteifilz, Korruption und lethargischer Schlendrian lassen EU-Zuschüsse wie Steuergelder immer wieder in dunklen Kanälen verschwinden. "Anderswo ist es eine Selbstverständlichkeit, in Griechenland bedeutet es eine Revolution", hat Papandreou sein Vorhaben angekündigt, endlich Partei und Staatsapparat zu trennen.
Doch genau das ist es, was Griechen wie Ioanna G. nicht glauben. Die 32-jährige Mathematikerin lebt wie über 30 Prozent ihrer Altersgenossen noch bei ihren Eltern. Seit acht Jahren sucht sie nach einer adäquaten Anstellung, jobt für knapp 600 Euro unversichert bei der Stadt Athen. Jedes Jahr bangt sie, ob der Abgeordnete, der ihr den Job vermittelt hat, auch diesmal wieder ihren Vertrag erneuert. Dafür verlangt er schon mal per Anruf aufs Handy, dass sie auf seinen Wahlveranstaltungen erscheint. "An diesem Klientelismus wird auch Papandreou nichts ändern", resigniert Ioanna.
"Gebt mir eine Chance, das Gegenteil zu beweisen", hattePapandreou die Wähler im Wahlkampf umworben. Mit "radikalen Einschnitten" will der in Schweden und London ausgebildete Soziologe die griechische Gesellschaft verändern. Tatsächlich verkörpert der 57-Jährige einen modernen, für griechische Politiker ungewohnten Stil. Sportlich und ohne Allüren fährt er öffentlich Fahrrad, lädt seine Privatfotos auf Internetseiten hoch und neigt keineswegs zu schrillen Tönen. Gleichzeitig ist "Georgakis",oder "Klein Georgios" wie er bisher genannt wurde, aber auch Erbe einer Politdynastie, die mit seinem Großvater Georgios vor 50 Jahren die politische Bühne betreten hat. Sein Vater Andreas und Gründer der PASOK kam 1981 durch einen erdrutschartigen Sieg gegen Konstantinos Karamanlis, den Onkel des Wahlverlierers an die Regierung.
Während die Niederlage von Kostas Karamanlis mit dessen Rücktritt vom Parteivorsitz auch das Ende der Karamanlis-Dynastie bedeutet, muss Papandreou nun beweisen, dass er aus dem Schatten seines Vaters treten kann. Dieser war ein ebenso charismatischer wie autoritärer Führer, unter dem Georgios als Bildungsminister diente. 1996 brachte er seinen schwerkranken Vater schließlich dazu, den Weg für den Reformer Kostas Simitis frei zu geben. Als Simitis zwar den Beitritt Griechenlands zur Eurozone errungen, die Probleme im Inneren des Landes aber vernachlässigt hatte, versuchte die PASOK wieder mit dem Namen Papandreou zu punkten: Georgios übernahm 2004 den Parteivorsitz, erlitt aber zwei Wahlschlappen gegen Kostas Karamanlis. Er galt als zu wenig charismatisch, seine in holprigem, manchmal gar fehlerhaftem Griechisch ausgefochtenen Debatten boten seinen Gegnern Angriffsfläche für Kritik. Er sei nicht "griechisch" genug, hieß es.
Doch Papandreou ist gewachsen. Seine Führungsqualitäten hat er bei der Zusammensetzung "seiner Regierung" gezeigt. Über seinen Erfolg oder Misserfolg aber wird vor allem entscheiden, ob er Korruption und Nepotismus bekämpfen kann. Dazu muss er sich innerhalb seiner PASOK langfristig durchsetzen. Parteikader wie Wählerschaft erwarten traditionell nicht nur, beim Amtsantritt ihrer Partei persönlich begünstigt zu werden, sondern auch, dass Entscheidungen gemäß ihrer Interessen getroffen werden.
"Kompromisse und Koalitionen werden in Griechenland nach wie vor als Schwäche ausgelegt", sagt Jens Bastian vom Institut für Außen- und Europapolitik Eliamp. Ein wirklich neuer Politikstil gelänge erst dann, wenn Hochschul-, Renten- oder Steuerreform nicht einfach mit einer Regierungsentscheidung durchgesetzt würden, sondern durch Kompromisse mit allen Betroffenen eine breite gesellschaftliche Mehrheit fänden". Nur wenn Papandreou Schritte in Richtung auf eine Konsenzdemokratie unternimmt, könnte er die seit mehr als 30 Jahren von Pasok wie Nea Dimokratia im Wechsel angekündigten Strukturreformen tatsächlich angehen. Dann wäre seine Wahl mehr als nur die turnusmäßige Abwahl der schon wieder einmal gescheiterten "anderen Seite".