ITALIEN
Zehntausende haben in Rom gegen eine zunehmende Gängelung der Medien protestiert. Auch das Europaparlament diskutierte jetzt über die Gefahren für eine freie Presse
Ein italienischer Fernsehabend: Auf Rai Uno läuft das Telegiornale Uno, so etwas wie die italienische Tagesschau. Es geht um das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts, welches das Immunitätsgesetz Berlusconis gekippt hat. Am Ende eines Beitrags, in dem es über die Folgen für die Regierung geht, sagt der Pressesprecher von Silvio Berlusconi, Paolo Bonaiuti: "Der Premier wird weiterregieren und sich nicht den üblichen Angriffen der Linken ergeben." Ist es Zufall, dass die Meinung des Regierungslagers immer das letzte Wort hat im Telegiornale Uno?
Derzeit diskutieren das nicht nur Journalisten in den Zeitungen und Bürger wie am 3. Oktober auf einer Demonstration in Rom, sondern auch das EU-Parlament. Vertreter der Linken, Liberalen und Grünen prangerten am 8. Oktober die weitreichende Kontrolle Berlusconis über die Fernsehanstalten an. Italien sei in Europa das einzige demokratische Land, in dem der mächtigste Medienunternehmer zugleich Regierungschef sei, sagte der Chef der sozialistischen Fraktion, Martin Schulz (SPD). Berlusconi habe einen Einfluss auf die Medien, die selbst "Honecker neidisch gemacht hätte", erklärte die britische Liberale Sarah Ludford. Vertreter der Konservativen hatten vergeblich versucht, die Debatte zu verhindern. Eine Abstimmung zu dem Thema soll noch im Oktober stattfinden.
Grund für die vehemente Kritik ist nicht nur das von Spöttern als "devote Unterwürfigkeit" bezeichnete Telegiornale Uno, sondern auch, das sich nach Meinung kritischer Journalisten eine fortschreitende Berlusconisierung des Staatsfernsehens beobachten lässt. Als Beispiel wird immer wieder Rai 2 genannt. Galt früher das zweite Programm als jenes, das die Sozialisten bestimmen, pflegt man hier nun die Selbstzensur: So war Marco Travaglio, Italiens bekanntester investigativer Journalist, bisher in der Sendung "Annozero" dafür zuständig, mit einer bissigen Ouvertüre die Diskussionssendung anzuheizen. Doch nach der Sommerpause hat Travaglio bisher keinen neuen Vertrag bekommen. Außerdem hat die Direktion des Senders beschlossen, dass für mögliche Streitfälle, die sich aus den Debatten und Filmbeiträgen ergeben, nicht mehr die Rechtsabteilung, sondern Moderator Michele Santoro selbst verantwortlich ist.
Inwieweit sich die Sendung dann noch traut, etwa das Callgirl Patrizia D'Addario einzuladen, das über amouröse Begegnungen mit Silvio Berlusconi berichtete, ist wohl fraglich. Denn wegen der Berichte über fragwürdige Feste Berlusconis mit jungen Frauen hat der Ministerpräsident bereits angekündigt, die römische Tageszeitung "La Repubblica" zu verklagen. Sieht sich Berlusconi bei Rai Due und vor allem beim Sender Rai Tre noch Kritikern gegenüber, laufen die Sender des von seinem Sohn Piersandro geführten Konzerns Mediaset in der Spur.
Von der "Nachrichtensendung" des Moderators Emilio Fede bis zur hin Diskussionssendung Matrix erwecken die Programme bei vielen Italienern den Eindruck, andere Politiker und Meinungen wären nur gefragt, um die Fassade intakt zu halten - aber das letzte Wort hat Silvio Berlusconi. Manchmal ruft er auch in Diskussionssendungen an, um seine Meinung durchzugeben. Marco Travaglio von Annozero sagt: "Ins Studio kommt er nur, wenn er einziger Gast ist, oder selbst bestimmen kann, wer die anderen Gäste sind." Der Komiker Beppe Grillo, der den am meisten frequentierten Blog in Italien betreibt, hat vor kurzem wegen mutmaßlicher Selbstzensur der Journalisten einen "Leck mich!"-Tag gegen den herkömmlichen Journalismus in Italien veranstaltet. "Der einzige Ort der Hoffnung macht, ist das Internet", meint er. Tatsächlich scheint das Internet das kritische Bewusstsein vor allem der jungen Italiener anzuregen. Nach einer Umfrage des renommierten Soziologen Renato Mannheimer glaubt der Großteil der Jugendlichen unter 24 Jahren, dass in Italien die Pressefreiheit bedroht sei. Bei den über 65-Jährigen denkt das dagegen nur ein Drittel. 43 Prozent der Italiener antworten auf die Frage, ob die Pressefreiheit bedroht ist, mit "ein bisschen", "ziemlich" oder "viel".