Als die Mauer aufging, schlief Petra Pau. Am frühen Abend des 9. November hatte sie noch die Nachrichtensendungen verfolgt. "In der Reihenfolge wie immer: Erst um halb acht die Aktuelle Kamera im DDR-Fernsehen und dann die Tagesschau", weiß sie noch ganz genau. Als da von Reiseregelungen die Rede war, ging sie davon aus, dass am nächsten Tag Bestimmungen dazu erlassen würden und ging ins Bett. Am folgenden Morgen jedoch war die Welt eine andere. Dass sie diesen historischen Moment verschlafen hat, ärgert die damals für den Zentralrat der DDR-Jugendorganisation FDJ arbeitende Pau nicht sonderlich.
In ihrer Rückschau war ohnehin nicht der 9., sondern der 4. November das "entscheidende Datum". An jenem Samstag fanden sich Hunderttausende auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer offiziell angemeldeten und auch genehmigten Großdemonstration ein, bei der erstmals auch Bürgerrechtsbewegungen öffentlich in Erscheinung treten konnten. Die damals 26-jährige Pau entdeckte an diesem Tage im Hof des FDJ-Zentralratsgebäudes Unter den Linden, wie bürgerkriegsmäßig ausgerüstete Polizeikräfte sich in Bereitschaft hielten, ein eventuelles Durchbrechen der Demonstranten zum Brandenburger Tor mit Gewalt zu verhindern. "Da habe ich den Schlussstrich unter eine gewisse Verbundenheit mit diesen Maßnahmen gezogen", blickt die spätere Bundestagsvizepräsidentin zurück.
Es begann die rastlose Zeit der Runden Tische. Die ehemalige Jugendfunktionärin wurde mit der Abwicklung der DDR-Kinderorganisation beauftragt. Im Januar 1990 trat das SED-Mitglied in die PDS ein: "Ich bin zur Kreisleitung Hellersdorf gegangen und habe gesagt: ,Ich will neu eintreten.' Darauf kam die Antwort: ,Aber du bist doch schon drin.' Ich wollte aber diesen Bruch - ich wollte zeigen: ich stehe zu diesem neuen Programm."
Nach der Volkskammerwahl im März 1990 klingelten zwei junge Leute von der PDS Berlin-Hellersdorf bei Pau, um zu fragen, ob sie nicht für die Bezirksverordnetenversammlung kandidieren wolle. Die Antwort hieß "ja", denn: "Ich wollte mitgestalten und mitbestimmen und nicht nur per Vertrag in das neue Land übernommen werden", sagt sie. So begann die Politikerkarriere der Bundestagsabgeordneten: "Hätte mir damals einer gesagt, Du wirst Abgeordnete im Deutschen Bundestag, dann hätte ich den zum Arzt geschickt."
Der Weg führte zunächst über den Landesvorsitz der Berliner PDS ins Berliner Abgeordnetenhaus. "Damals galt ich mehrfach als ,Notlösung' - als das kleinere Übel", erinnert sie sich. Es begann 1992, als sie über Nacht Landesvorsitzende der PDS in Berlin wurde, "weil uns zwei Vorsitzende abhanden gekommen waren, die ihre Stasi-Kontakte verschwiegen hatten". Für die Abgeordnetenhauswahl 1995 war zunächst Hans Modrow, Ex-SED-Chef von Dresden, vorgesehen. Dagegen gab es Widerstände. Der Kompromiss hieß: Petra Pau. Drei Jahre später hatte sich die Parteispitze als Bundestagskandidat für den Wahlkreis Berlin-Mitte mit Elmar Schmähling einen "vom Flottenadmiral der Bundeswehr zum Friedenskämpfer mutierten Kandidaten" ausgeguckt. "Der versenkte sich 14 Tage nach seiner Nominierung selbst, weil er eine juristische Auseinandersetzung verschwiegen hatte", erzählt die gebürtige Berlinerin. So trat sie an und gewann gegen Gegner wie Wolfgang Thierse und Marianne Birthler.
Vier Jahre später zog Pau erneut in den Bundestag ein. Da ihre Partei jedoch an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, fand sie sich bis zur vorgezogenen Neuwahl 2005 mit der ebenfalls direkt gewählten Gesine Lötzsch allein im Bundestag wieder. "Das war nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig", resümiert sie. Aber: "Ich habe damals unheimlich viel gelernt." Viel gelernt und sich dabei auch Anerkennung erarbeitet - eine Anerkennung, der sie wohl auch ihre Wahl zur Bundestagsvizepräsidentin im April 2006 verdankt. Nachdem der von der Linksfraktion nominierte Kandidat Lothar Bisky viermal gescheitert war, trug er selbst Pau die Kandidatur an. "Wäre die Bitte nicht von ihm gekommen, hätte ich abgelehnt", sagt Pau, die schließlich im ersten Wahlgang gewählt wurde.