Bürgerrechte
Gerhart Baum, Ilija Trojanow und Juli Zeh machen mobil gegen die Überwachungsgesellschaft
Gerhart Baum bemüht einen Altmeister der Philosophie: Wenn die Sicherheit als "etwas absolut Gesetztes die Bühne betritt", argumentiert der Linksliberale mit Karl R. Popper, dann berge dies einen "hochriskanten, nämlich totalitären Kern" in sich. Dieser Befund klingt zunächst abstrakt. Ist es denn nicht so, dass trotz wuchernder Überwachung und Kontrolle in immer mehr Lebensbereichen viele Leute achselzuckend sagen, man habe ja "nichts zu verbergen"? Baum kontert in seinem Buch "Rettet die Grundrechte" solche Gleichgültigkeit mit einem konkreten Beispiel: dass nämlich freiwillig oder unfreiwillig preisgegebene Informationen zu einem Hemmnis etwa für berufliches Fortkommen werden können.
Noch weitaus anschaulicher schildern Ilija Trojanow und Juli Zeh in ihrem Gemeinschaftswerk "Angriff auf die Freiheit" eine Gesellschaft, deren Bürger im Namen von Terror- und Kriminalitätsabwehr zusehends ausgeforscht werden - vom Staat und von der Wirtschaft. Die Autoren versetzen die Leser in die Rolle eines Durchschnittsmenschen, der im Alltag ausufernd in den Griff genommen wird. Die Fingerabdrücke auf seiner Frühstücks-Kaffeetasse befinden sich, so er häufig reisen sollte, auch in Polizeicomputern der USA, Schwedens, Georgiens oder des Jemen. Vor dem Gang zur Arbeit ruft unser Zeitgenosse seine E-Mails ab, "die sind schon überprüft worden", noch ein Blick auf diese oder jene Website, "die Kripo weiß, welche, wenn sie möchte, und kann das auch in sechs Monaten noch überprüfen". Nach dem Verlassen der Wohnung filmen Überwachungskameras im Hauskomplex, in der U-Bahn-Station, in der Einkaufspassage Schritt und Tritt. Die Paybackkarte "verzeichnet einen erhöhten Alkoholkonsum". Wiederholt wurden am Bankautomaten 1.000 Euro abgehoben, "wozu brauchen Sie so viel Bargeld?" Der Stromverbrauch stieg um 12,4 Prozent: "Verstecken Sie jemanden?" In der Stadtbibliothek leiht sich unser braver Bürger "merkwürdige Bücher" aus, etwa über zivilen Ungehorsam.
Aber natürlich geschieht eine solch weitreichende Auskundschaftung nur "zu Ihrem Besten". Der Staat als "Vater und Beschützer", schreiben Trojanow und Zeh sarkastisch, müsse nun mal "wissen, was seine Kinder treiben". Wer nichts Schlimmes zu verbergen habe, habe nichts zu befürchten. Aber die Frage bleibt: Was ist schlimm? Das "überlassen Sie bitte den Spezialisten". Das alles sei "keine Science Fiction", empören sich die beiden Autoren, "sondern das Jahr 2009 in der Bundesrepublik".
Die Werke des FDP-Manns Baum sowie der Schriftsteller Trojanow und Zeh ähneln sich und sind doch recht verschieden. Inhaltlich kreisen beide Bände um das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit und urteilen übereinstimmend, dass Letztere im Namen der Ersteren zusehends auf der Strecke bleibt. Früher die RAF, heute islamistische Terroristen, die Organisierte Kriminalität, ein ominöses "Sicherheitsgefühl" - viel muss zur Rechtfertigung der alltäglichen Kontrolle herhalten. Stoßrichtung und Stil der Verfasser differieren indes. Baum präsentiert eine eher trockene politische Analyse, die auch in Aufforderungen an den Gesetzgeber mündet. Trojanow und Zeh hingegen haben eine flammendes Anklageschrift formuliert, die als zorniger Aufschrei der gequälten Freiheitsseele die Leute wachrütteln soll.
Der Text Trojanows und Zehs ist packend und flüssig zu lesen, weil provokant und polemisch formuliert, manches mutet zugespitzt oder gar etwas überspitzt an. Eine austarierte Pro-und-Contra-Beschäftigung mit dem Thema Überwachung findet sich in diesen Zeilen nicht. Man kann durchaus kritisieren, dass das Buch weithin bei der Beschreibung beunruhigender Entwicklungen verharrt, mehr geordneter analytischer Tiefgang wäre nicht schlecht. Auch die Antworten auf die Frage, was denn nun gegen den bösen Trend zu tun sei, reichen nicht sehr weit, im Wesentlichen bleibt es bei einem Appell an die Bürger: "Wehren Sie sich. Noch ist es nicht zu spät." Sich nicht auf MySpace entblößen, wegen eines Rabattvorteils im Supermarkt nicht alles preisgeben, "Sensibilität für den Wert Ihrer Daten" entwickeln, Abgeordnete unter Druck setzen: All das ist sinnvoll, dürfte aber Datenkraken kaum in die Schranken weisen.
Allerdings werden derartige Einwände diesem Band nicht gerecht. Trojanow und Zeh haben ja etwas anderes im Sinn: Sie wollen den Lesern plakativ vor Augen führen, wie Big-Brother-Methoden die Alltagsfreiheit unterminieren und deshalb viele treffen können. Das vermag durchaus unter die Haut zu gehen. In Großbritannien, berichten die Autoren, nutzen Behörden Kameras bereits dazu, um gegen Leute vorzugehen, "die Müll auf die Straße werfen, Hundehaufen nicht vorschriftsmäßig entsorgen oder illegal Pizza verkaufen". Selbst Kids auf dem Bolzplatz werden schon mal gefilmt. Da würden Instrumente der Terrorbekämpfung "zum scharfen Schwert in den Händen eines Recht-und-Ordnung-Spießertums", erregen sich Trojanow und Zeh. Motto: "Hunde an die Leine, Raucher vor die Tür, Computerspiele auf den Index" - der "abgesicherte Bürger" als "regulierter Bürger". Eine surrealistisch wirkende Beobachtung: Das Umfeld des Wohnhauses von George Orwell ("1984") wird heute von allerlei elektronischen Augen ins Visier genommen.
Im Übrigen klagen Trojanow und Zeh nicht nur an, sondern beleuchten auch den wenig diskutierten Umstand, dass der konkrete Sicherheitsgewinn so mancher Überwachungsmaßnahme recht gering ist. So seien bei einer Rasterfahndung nach dem 11. September hierzulande über acht Millionen Leute überprüft worden - und ein einziges Ermittlungsverfahren sei eingeleitet worden, das zudem eingestellt wurde. Im massenhaft mit Kameras bestückten London werden nur drei Prozent der Straftaten mit Hilfe der Videokontrolle aufgeklärt. Ans eigene Portepee werden die Leser in jenen Passagen gepackt, die in Sachen Sicherheitsgefühl erhellen, dass beim Autofahren, Heimwerken oder Schwimmen mehr Gefahren drohen als durch Terror oder schwere Kriminalität.
Trojanow und Zeh untermauern mit bedrückendem Anschauungsmaterial und einem Schuss keineswegs abwegiger Fantasie das, was Baum, juristisch fundiert und im Politikbetrieb erfahren, abgewogen zu Papier bringt. Das Buch des FDP-Altvorderen liest sich nicht so fesselnd, ist aber inhaltlich nicht weniger ertragreich. So analysiert er, dass hinter der maßlosen Ausforschung der Bürger die Wandlung vom Rechtsstaat zum "Präventionsstaat" steht: Nach dieser "Regieanweisung" dürfe der Staat alles, "und er interessiert sich prinzipiell für uns alle". Sicherheitspolitik werde zur "düsteren Seherei" mit viel Vorbeugung für den Fall, "der zwar nicht ansteht, aber in vielen Varianten eintreten könnte". Leider nur kurz angerissen, wird von Baum die oft verkannte Macht der EU, mit deren Hilfe nationale Politiker die Beschneidung der Freiheitsrechte voranzutreiben pflegen: Für Baum "nicht zufriedenstellend beantwortet" ist die Frage, wie die Bürgerrechte des Grundgesetzes gegen Brüsseler Eingriffe geschützt werden können.
Dem liberalen Schlachtross lässt sich schwerlich vorhalten, er kritisiere nur und habe keine Konzepte zur Verteidigung der Freiheit zur Hand: Immerhin haben auch Klagen Baums dazu beigetragen, dass das Verfassungsgericht etwa den Großen Lauschangriff und das Luftsicherheitsgesetz gekippt hat. In seinem Buch schlägt er vor, alle staatlichen Maßnahmen im Sicherheitsbereich einer "Tauglichkeitsprüfung" zu unterziehen: Wiegt der Freiheitsverlust den Sicherheitsgewinn auf? Seine Partei erinnert er daran, dass sie angesichts der Kontrolle am Arbeitsplatz für diese Legislaturperiode ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz entworfen hat. Mal sehen, wie weit der Eifer der FDP auf Regierungsbänken trägt - und welches Echo Baums Wort in der praktischen Politik findet.
Rettet die Grundrechte! Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009; 196 S., 16,95 ¤
Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte.
Carl Hanser Verlag, München 2009; 173 S., 14,90 ¤