Roman
Anna Perera erzählt die Geschichte eines jugendlichen Häftlings in Guantanamo
Kann das gutgehen? Khalid stammt aus einer pakistanischen Familie, Niamhs aus einer irischen. Und so sehr der 15-jährige auch in seine Mitschülerin verliebt ist, fragt man sich doch, ob ein junger Muslim und eine junge Katholikin im Großbritannien des 21. Jahrhunderts wohl heiraten dürften. Khalid fragt sich das auch. Jedenfalls dann, wenn ihm nicht ebenso Wichtiges im Kopf herumschwirrt: Fußball zum Beispiel, oder der nächste Chat mit seinem Cousin.
Das Vergnügen, dem jungen Briten bei seinen Hobbys zuzugucken, währt nicht lange. Es ist die Zeit nach dem 11. September, auch in England die Zeit der kleinen Anfeindungen hier und da. Nichts Ernstes widerfährt dem jungen Muslim; es ist eher ein für ihn neues Gefühl der Fremdheit im eigenen Land, die in sein Leben einzieht. Mit Osama bin Laden - und sei es nur noch so dumm dahergesagt - hatte der 15-Jährige sich zum Beispiel vorher nicht vergleichen lassen müssen.
Als wenig später seine Großmutter stirbt, fliegt der Junge zum ersten Mal mit seinen Eltern nach Pakistan. Tagsüber gibt er sich Mühe, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Nachts flüchtet er sich in eine vertrautere Welt: Er spielt am Computer "Bomber One". Das Spiel ist eine Erfindung seines Cousins. Spieler aus der ganzen Welt versammeln sich darin und planen die Zerstörung einer imaginären Stadt.
Es spricht viel dafür, dass das Computerspiel dem Jungen zum Verhängnis wird. Es könnte aber auch eine Demonstration sein, in die er zufällig gerät. Oder einfach ein Nachbar, der Spaß am Denunzieren hat - oder die von den USA für Islamisten ausgelobte Fangprämie von ein paar tausend Dollar braucht. In jedem Fall kommen sie ihn holen: Mitten in der Nacht dringen fremde Männer in das Haus seiner Tante ein, entführen und verschleppen den Jugendlichen. Von Pakistan geht es über Afghanistan bis nach Guantanamo Bay.
Wieder und wieder wird er verhört, bedroht und angebrüllt: Er möge seine Kontakte offen legen, sagen seit wann er bei Al-Qaida ist! Anfangs brüllt Khalid noch zurück, allen Mut der Verzweiflung zusammen nehmend: "Ich bin 15! Ich bin Engländer!" So lange, bis er auf seinem Bett fixiert und gefoltert wird: Immer wieder kippt man dem Jungen Wasser über das Gesicht und setzt ihn dem Gefühl des Ertrinkens aus. Er bricht zusammen, unterschreibt ein falsches Geständnis, besiegelt sein Schicksal für weitere Monate. Mitzuverfolgen, wie sein Widerstand gebrochen wird, Stück für Stück - das ist ein hartes Stück Lesearbeit. Es ist aber auch das größte Verdienst von Buchautorin Anna Perera, dass ihr eine so intensive Beschreibung geglückt ist.
Weit mehr als zwei Jahre dauert das Martyrium, das der jugendliche Protagonist in Pereras Roman "Guantanamo Boy" erleiden muss. Ein unmöglicher Fall? Wohl kaum. Im November 2008 gab das US-amerikanische Verteidigungsministerium gegenüber den Vereinten Nationen zu, dass zwölf Minderjährige in Guantanamo interniert worden seien. Als die Kinderbuchautorin Perera - im privaten Leben mit Dire-Straits-Gründer David Knopfler verheiratet - davon erfuhr, beschloss sie, den Skandal in eine jugendgerechte Geschichte zu übersetzen. Und zwar ohne mit auch nur einem ehemaligen Guantanamo-Insassen je gesprochen zu haben. Sie habe einen fiktionalen Charakter schaffen wollen, erzählte sie dem britischen "Guardian", "dem ich sagen konnte, was und wie er zu sein hat". Ein gewagtes aber geglücktes Unterfangen. Packend und fesselnd, nah an den Menschen - und den Menschenrechten.
Zu den schönen Details des Buchs gehört, dass Khalid im 21. Jahrhundert im größten Unrechtslager der Vereinigten Staaten Harper Lees Buch "Wer die Nachtigall stört" in die Finger bekommt. Wieder und wieder liest er das ergreifendste Werk, das je über Rassismus in der US-amerikanischen Justiz geschrieben wurde. Das Buch spielt in den 1930er Jahren. Die Parallelen liegen auf der Hand.
Guantanamo Boy. Roman.
Cbt Verlag, München 2009; 383 S., 14,95 ¤