DDR
Erinnerungen an ein untergegangenes Land
Sie wurden präsentiert wie kostbare Ausstellungsstücke in einer Museumsvitrine: Die Zigarettenstangen, Kaffeepackungen und Flaschen mit allerlei Alkoholika, die liebevoll aufgereiht in den Schaukästen der Intershop-Filialen standen. Allein das machte deutlich: Hier gab es etwas Besonderes, die Passanten drückten sich die Nasen platt. Und hier ging in der Tat Außerordentliches vor sich. Die Intershop-Läden, in denen DDR-Bürger Westprodukte kaufen konnten, waren eine Zwischenzone, ein Transitraum. Hier kulminierten die Beziehungen zwischen Ost und West. Es war ein Ort, in dem Kulturen, Wirtschaftskonzepte, Währungen, Menschen aus den politisch so unterschiedlichen Teilen Deutschlands aufeinander trafen. Der west-östliche Mikrokosmos der Intershop-Läden, er ist symptomatisch, will man die Beziehung der beiden deutschen Staaten zueinander beschreiben. So wie die Kulturanthropologin Franka Schneider, die die Struktur jener Geschäfte detailliert aufdröselt, und so das längst Untergegangene rekonstruiert, einen Erinnerungsort entstehen lässt.
Schneiders Beitrag ist Teil des Aufsatzbandes "Erinnerungsorte der DDR", den der Historiker Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, nun herausgegeben hat. Geschrieben haben Wissenschaftler und Journalisten aus Ost und West, sie bieten damit ein "Kaleidoskop" an Perspektiven, tragen Versatzstücke der unterschiedlichen Haltungen zusammen - gerade jetzt, 20 Jahre nach dem Ende der DDR, wo der Mantel der Geschichte sich bereits über das eine oder andere gelegt hat, ein äußerst kluger Ansatz.
Er wisse um die "skeptische Vermutung, dass eine Thematisierung von DDR-Erinnerungsorten wenig mehr leisten könne, als bloß die anhaltende Konjunktur der Gedächtnisindustrie bis in die hintersten Winkel der historischen Gerümpelkammer auszubeuten", betont Sabrow denn auch gleich zu Beginn. Das klingt vor allem, als hätte er Angst vor Ostalgie-Kitsch. Doch dabei übersieht Sabrow, dass die Spannbreite zwischen verklärenden Reminiszenzen einerseits und dem, was der Band letztlich leistet andererseits, ziemlich groß ist.
Die Themenkomplexe, die das Buch abarbeitet, sind erst einmal hoffnungsvoll vielseitig, "Gesichter der Macht" heißt einer, "Herrschaftskultur", "Leben im Staatssozialismus", "Kleine Fluchten", "Gemeinsame Grenzen" und "Aushalten und Aufbegehren" die anderen. Die DDR wird in ihre Bestandteile zersetzt, abstrakte Gefühle wie Ohnmacht, ideologische Grundpfeiler wie Zensur und gesellschaftliche Rituale wie die Jugendweihe bekommen genauso einen Platz im System wie tatsächliche Orte, sei es der Palast der Republik, die Platte oder Eisenhüttenstadt.
Die ursprüngliche Idee, die DDR, ihre Geschichte, ihre Logik, ihren Alltag, mittels Orten zu dokumentieren, ist bestechend reizvoll. Allerdings klappt es im vorliegenden Band nur äußerst selten, jene Idee, die der Titel evoziert, auch mit Leben zu füllen. Fotos gibt es etwa auch kaum, gerade bei diesem Thema eine seltsame Entscheidung. Das Buch funktioniert immer dann, wenn es konkret wird. Und das ist leider selten der Fall.
Nicht die Idee oder die Themen sind das Problem, es ist zuvorderst die Sprache. Denn die meisten Texte sind mit einer derartig analytischen, spröden Distanz geschrieben, dass man sich im Wortsinne nie "verortet" fühlt: Man ist nicht mit vor Ort, man wird nicht mitgenommen zu den Kirchen, Wohnungen, Plätzen. Und darum ging es Martin Sabrow ja: Orte der Erinnerung lebendig werden zu lassen, um DDR-Geschichte aus heutiger Sicht nachvollziehbar zu machen. Dass das nicht klappt, mag daran liegen, dass vor allem Wissenschaftler, genauer: Historiker, als Autoren fungierten. So auffällig wie in diesem Fall ist der Unterschied zwischen den Texten der Wissenschaftler und der Journalisten nur selten. Es ist ein Jammer.
Denn da sind all die gelungenen Beispiele, die zeigen, was für ein Potenzial ein Buch wie dieses gehabt hätte. Wie Regina Mönch das alljährliche Prozedere des Frauentags schildert, Emmanuel Droit die Rolle von "Frieden" innerhalb der Staatslogik erklärt oder Christoph Dieckmann das Tor von Jürgen Sparwasser während der Fußballweltmeisterschaft 1974 gegen die Bundesrepublik seziert, ist absolut phantastisch. Sie zeigen wie sich mit Blick auf ein Detail die politischen, gesellschaftlichen, kulturellen Zusammenhänge des Staates analysieren lassen. Genau das will man lesen. Und derartige Bücher müssen ja nicht nur zu Jubiläen erscheinen.
Erinnerungsorte der DDR.
Verlag C.H. Beck, München 2009; 619 S., 29,90 ¤