Politik, Medien und Wirtschaft
Albrecht Müller warnt vor den Manipulationen der öffentlichen Meinung
Albrecht Müller - von 1973 bis 1982 Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt - zählt zu den sachkundigsten Kritikern der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Wie in seinen Schriften "Die Reformlüge" und "Machtwahn" sieht er die Ursache für die sozialen Verwerfungen in der Geneigtheit in Teilen der Mittel- und Oberschicht, sich mit den Zielen der neoliberalen Ideologie - Privatisierung, Deregulierung, Entstaatlichung, Kommerzialisierung - zu identifizieren. In seiner neuesten Publikation will Müller zeigen, wie diese Entwicklung durch geschickte "Meinungsmache", so der Titel des Buches, in Wirtschaft, Politik und Medien entstanden ist.
Zu den Methoden dieser Meinungsmache zählen nach Ansicht Müllers unter anderem das permanente Wiederholen falscher Behauptungen, haltlose Übertreibungen, Angstmache, das Verschweigen von Fakten, die Einschaltung von bezahlten Experten und Lobby-Agenturen. Er belegt mit vielen Beispielen, dass durch gezielte Manipulation das Denken der Bundesbürger in bestimmte Richtungen gelenkt werden soll. Die sollen am Ende glauben, dass die Lohnkosten in Deutschland zu hoch sind, Leistung sich mehr lohnen muss, Konjunkturprogramme nichts bewirken, der Markt alles bestens regeln kann und es keine Alternative zum Neoliberalismus gibt.
In der Bertelsmann Stiftung erkennt Müller den führenden deutschen Think-Tank. Mit Millionenbeträgen des Medienkonzerns Bertelsmann AG im Rücken würden Gutachten erstellt, die der Staat angesichts leerer öffentlicher Kassen oft nur allzu gern aufgreift. Diese Dienstleistungen seien aber keineswegs uneigennützig, sondern dem neoliberalen Gedankengut und den Interessen der Stiftung verpflichtet. Private Netze diverser Stiftungen würden zu "Souffleuren der Macht".
Für Albrecht Müller ist inzwischen eine "private institutionelle Macht des Reichtums" entstanden, die "ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert". So beruhe die Auslieferung der Universitäten an die Wirtschaft auf Vorschlägen der Bertelsmann Stiftung, die quasi zum "informellen Bildungsministerium" geworden sei. Hochschulen hätten seitdem primär nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu arbeiten und stünden in Wettbewerb untereinander. Studierende, die den Abschluss zum Bachelor oder Master anstreben - Diplom- und Magisterprüfungen gebe es nicht mehr - müssten pausenlos Lernstoff pauken, eine kritische Beschäftigung mit den Inhalten des Studiums gelte als überholt. In Zukunft steuere ein Unternehmensführer den Hochschulbetrieb.
Wirtschaftliche Interessen haben, so Müller, auch im Vordergrund beim Schlechtreden der gesetzlichen Rente gestanden. Die Abschlüsse zur privaten Vorsorge spiele jährlich Milliarden in die Kassen der Versicherungen und Finanzdienstleister, wobei die Befürworter der Privatvorsorge im Dienst eben dieser Versicherungsbetriebe stünden. Dass wir einen möglichst schlanken Staat brauchen, Hedgefonds und Private Equity Unternehmen den Standort Deutschland verbessern, Niedriglöhne Arbeitsplätze sichern, eine Vermögenssteuer unsozial, die Senkung der Einkommenssteuer dagegen Konjunktur belebend ist, dafür, so Müller, ist in den Medien permanent Stimmung gemacht worden und haben zahllose Gutachten von PR-Agenturen die angeblich wissenschaftlichen Grundlagen geliefert. Die damit ausgelöste soziale Ausgrenzung von Millionen sowie die skandalöse Bereicherung bei Großunternehmern, Managern und Bankern beunruhige die Meinungsmacher in keiner Weise. Selbst nach der Finanzkrise würden weiterhin Bonuszahlungen in Millionenhöhe an Mitverursacher des Finanzdebakels verteilt.
Warum haben die "Wächter" versagt, warum ist die sich seit langem abzeichnende Fehlentwicklung von den Regierenden nicht verhindert worden? Nach Müller wirken die Lobbys der Interessenverbände bis tief in die Parlamente hinein und ziehen viele Abgeordnete mit finanziellen Vergünstigungen auf ihre Seite. Außerdem seien die Medien als kritische Instanz verschwunden. Nachricht und Werbung würden zunehmend verquickt, nicht nur im Privatfernsehen. Quotendruck führe zu Anpassung an den Mainstream, billige Unterhaltungssendungen ersetzten Hintergrundinformationen. In den letzten Jahren habe sich die Zahl hauptberuflicher Journalisten erheblich verringert und gleichzeitig sei die Zahl der PR-Mitarbeiter gestiegen - mit der Folge, dass die Medien zunehmend Agentur-Berichte bringen, die als solche nicht gekennzeichnet sind.
Für Müller steht fest, dass die Kommerzialisierung der Medien die demokratische Willensbildung lähmt. Sein dringender Appell deshalb: "Schafft ein, zwei, viele Gegenöffentlichkeiten." Er selbst liefert auf den "NachDenkSeiten" im Internet täglich Informationen, die in den meisten Medien fehlen. Sein faktenreiches Buch bietet die Chance, sich den Fängen der Meinungsmacher zu entziehen.
Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen.
Droemer Verlag, München 2009; 447 S., 19,95 ¤