Atlas
Ein Bildband zeigt die Schönheiten der Erde - und ihre Schattenseiten
Der Verlag betont, mit dieser Edition sei der Atlas neu erfunden worden. Lassen wir das dahingestellt sein, aber dass hier ein Atlas der Superlative vorgelegt wurde, wird auch dem Nutzer von "google-earth" oder "wikipedia" schnell klar: Auf 700 Seiten im Format von nahezu DIN A 3 offeriert dieses Kartenwerk mit Zubehör unerhört schöne Bilder der Erde aus der Satellitenperspektive. Diese Bilder tilgen zugleich die "letzten weißen Flecken", die unser Planet noch hatte, und sind allein schon wegen ihrer Größe einfach faszinierend. Schönheit, Vielfalt, aber auch die Verwundbarkeit des blauen Planeten springen dem Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge.
Die Weltraumperspektive öffnet den Einstieg in die Welt der Karten, die jeden noch so entlegenen Winkel der Erde gestochen scharf erfassen. Das erfreut den Sucher naher und ferner Orte, der nicht nur über seinen Finger auf der Landkarte, sondern auch mit 110.000 Stichwörtern zum Ziel geführt wird. Dazu kommen Ausklappseiten mit Panoramakarten und die Kombination von physischen Karten mit präzisen Satellitenbildkarten.
Die Welt hat sich verändert, sagen die Herausgeber. Das ist wohl wahr: Politische Kräfte verschieben sich, Grenzen werden neu gezogen, die Ressourcensuche hinterlässt deutliche Spuren ebenso wie die Klima-Erwärmung - Gründe genug, den Korrespondenten und Fachjournalisten der Wochenzeitung "Die Zeit" eine Bestandsaufnahme anzuvertrauen. So wird der Wandel der Welt aus allen Himmelsrichtungen beleuchtet und zugleich der Blick auf die Unterschiede verschiedenster Lebensbedingungen und Lebensräume gelenkt.
Auch die aktuellsten Entwicklungen, wie etwa die Finanzkrise, die diese Welt durchaus nachhaltig aus den Angeln heben kann, bleiben in der Zustandsbeschreibung nicht unbeobachtet. Wer jedoch vor allem die eigene Weltsicht wiederfinden möchte, wird schnell feststellen müssen, dass einseitige oder monokausale Betrachtungen und Bewertungen nicht der Sichtweise der "Zeit"-Journalisten entsprechen.
So zeigt der Blick auf eine neue Weltordnung aus der Perspektive der "global player" USA, EU, Russland, China, Japan, sowie aus der Sicht Afrikas und Lateinamerikas, wie schwer es ist, unserem Planeten und seinen Bewohnern zum Glück zu verhelfen. Bartholomäus Grill, langjähriger Afrika-Korrespondent der "Zeit", klagt Diktatoren und Kleptokraten an, die Hilfsgelder auf ihre Konten lenken. Zugleich entwickelt er aber auch praktikable und nachvollziehbare Vorschläge, die als Strukturpolitik den Armen zugute kämen und damit konfliktvermeidend wirksam würden.
Wie die Welt aus der Sicht einer "halbstarken" Großmacht beschaffen ist, hat Johannes Voswinkel mit scharfem Blick beobachtet. Er ist Korrespondent der "Zeit" in Moskau und zitiert den russischen Politik-Analytiker Lukjanow: "Russland träumt von einer großen Zukunft und sucht seine Quellen dazu in der Vergangenheit."
Und Grills Kollege Thomas Schildt schreibt über Russlands Nachbarn China: "Die chinesische Gesellschaft wird vom Gefühl eines tief greifenden Sinndefizits heimgesucht." Also erfindet das Land heute seine Traditionen neu, "teils unsicher und tastend, teils aber auch ziemlich ungestüm".
Ein umfassendes Länderlexikon von A-Z, von Afghanistan bis Zypern, rundet das gewichtige Werk ab. Auf knappen Raum findet der Nutzer die wichtigsten Daten aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen.
Es kann nicht verwundern, dass es den Machern des Atlas nicht gelingen konnte, der Schönheit der Satellitenbilder Entsprechendes über den inneren Zustand unseres Planeten an die Seite zu stellen; über einen auf großen Flächen unserer Erde friedlosen Zustand, wo Gewaltlosigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und anderes mehr, was die Entwicklung der Menschen zu humanen Wesen dokumentieren könnte, Fremdworte geblieben sind.
Der Atlas. Die Welt im 21. Jahrhundert. Wirtschaft, Ressourcen, Klima.
Dumont Reiseverlag, Ostfildern 2009; 700 S., 119, 95 ¤