STAATSREFORM
Die neuen Schuldenkriterien könnten schon vor ihrem Beginn auf Länderebene neu definiert werden
Jetzt auch noch eine Klage. Aus dem hohen Norden weht "FöKo II" eine steife Brise entgegen: Der Kieler Landtag hat im September beschlossen, den Gang zum Bundesverfassungsgericht zu wagen. Im Blickpunkt der Kritik steht dabei die von der Föderalismuskommission II beschlossene "Schuldenbremse". Es sei nicht akzeptabel, dass der Bund über das von 2020 an geltende Verbot der Kreditaufnahme in die Budgetpolitik und die Hoheitsrechte der Landtage eingreife, moniert das schleswig-holsteinische Parlament.
Die Kieler Klage bildet nur den Höhepunkt eines Streits. Quer durch die Parteien, den Bund und die Länder zeigt sich Uneinigkeit, wie die Zukunft des Föderalismus in Deutschland praktisch aussehen soll. Das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen bleibt eine Dauerbaustelle. Im Hintergrund schwelen Konflikte um Länderfusionen, Steuerwettbewerb, Bildungsautonomie oder Steuervollzug.
Der Klage des Kieler Landtags in Karlsruhe sieht Antje Tillmann "ganz gelassen" entgegen. Es sei "nicht vorstellbar", ist die CDU-Bundestagsabgeordnete überzeugt, dass das Verfassungsgericht die bei der Föderalismusreform im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse kippt. Schließlich habe Karlsruhe eine solide Etatpolitik immer hochgehalten, so die Fachfrau für Bund-Länder-Beziehungen.
Der SPD-Innenpolitiker Fritz-Rudolf Körper bekundet zwar politisch "sehr viel Sympathie" für den Gang nach Karlsruhe: In der Föderalismuskommission habe die SPD neben dem Bund auch den Ländern einen "moderaten Neuverschuldungsspielraum" zugestehen wollen, sei aber an Union und FDP gescheitert.
Juristisch beurteilt Körper die Erfolgsaussichten indes skeptisch: Ein Klagerecht des Landtags bei diesem Thema sei "sehr fraglich", und nach Ansicht von Verfassungsexperten beinhalte die Eigenstaatlichkeit der Länder nicht das Recht, sich auf Kosten künftiger Generationen weiter zu verschulden. Laut Ralf Wieland (SPD) indes "kann es nicht sein", dass sich der Bund in innere Angelegenheiten der Länder einmische: Es sei eine "spannende Frage", ob Karlsruhe das ebenso sehe, meint der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus.
Schützenhilfe gewährt den Kielern Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Bundestag: Deren Klage sei "vollkommen berechtigt" - wegen des "schwerwiegenden Eingriffs in die Rechte der Länderparlamente". Fritz Kuhn äußert ebenfalls Verständnis, "schließlich geht es um die Verteidigung der Souveränitätsrechte der Landtage". Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündni 90/Die Grünen sagt: "Sollte die Klage Erfolg haben, wäre das ganze Modell der Schuldenbremse vom Tisch."
So sieht es auch Ernst Burgbacher von der FDP: "Dann würde das Fass neu aufgemacht". Erfreuen kann diese Perspektive den Wirtschafts-Staatssekretär und Ex-Vizechef der Kommission freilich nicht, haben doch die Liberalen am nachhaltigsten auf null Toleranz in Sachen Schulden gepocht. Burgbacher nennt den Kieler Vorstoß eine "unglückliche Situation".
Dabei prescht gerade die FDP mit ihren Vorstellungen von einer Länderneugliederung vor. Für Antje Tillmann (SPD) dagegen ist das auf absehbare Zeit "kein Debattenschwerpunkt": Erst einmal seien die Liberalen gefordert, in der Koalition dazu beizutragen, die Schuldenbremse abzusichern. Burgbacher meint hingegen, dass Finanznöte und Wettbewerbsdruck ohnehin "von unten Bewegung in Richtung Fusionen erzeugen". Die FDP will Zusammenschlüsse erleichtern, indem ein neu gefasster Verfassungsartikel 29 den Ländern freistellen soll, die Art und Weise der Bürgerbeteiligung zu regeln.
Landesparlamentarier Wieland findet eine Verringerung der Zahl der Länder "unbedingt nötig", doch gebe es dafür leider keine Chancen. Bei einer seriösen Diskussion dürfe man "um das Thema Altschulden keinen Bogen machen", betont Gysi: "Wenn finanzschwache Länder, die vereinigt werden sollen, nicht entschuldet werden, kann ein Zusammenschluss nicht gelingen." Fritz Kuhn dagegen hält die Debatte für verfehlt: "Im Grunde ist die Fusionsdiskussion eine Phantomdebatte", auch wenn es "natürlich schon wünschenswert" wäre, "wenn es bei diesem Thema Fortschritte gäbe" - aber das "klappt schon mal gar nicht, wenn Druck von oben auf die Bevölkerung der betreffenden Länder ausgeübt wird." Kollege Körper verweist auf Studien, wonach im föderalen Deutschland die Verwaltung weniger koste als im zentralistischen Frankreich. Der SPD-Abgeordnete mahnt die Länder, besser zu kooperieren, etwa bei IT oder der Zusammenlegung von Obergerichten: "Das spart sehr viel Geld."
Für viel Streit sorgt auch der FDP-Vorstoß für mehr Steuerwettbewerb. Es mache doch keinen Sinn, kritisiert Burgbacher, wenn die Erbschaftssteuer voll den Ländern zustehe, aber der Bund über deren Höhe entscheide. Diese Forderung stößt bei der Opposition auf einhellige Ablehnung. "Wollen wir allen Ernstes Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Bundesländern, die wir dann brauchen?", fragt Parlamentarier Körper. Die Linkspartei lehnt mehr Steuerwettbewerb ab, weil so finanzschwache Länder noch stärker unter Druck gerieten, bei Ausgaben zu kürzen. "Die Länder sollten zwar Spielräume bei der Steuerfestsetzung nach oben haben", sagt Kuhn, "ein Dumping-Unterbietungswettbewerb ist aber auf keinen Fall zu akzeptieren."
Nicht vom Tisch ist die Debatte über eine Bundessteuerverwaltung, deren Einführung dem Bundesrechnungshof zufolge milliardenschwere Mehreinnahmen brächte. Tillmann meint, dass diese Frage an Bedeutung verlieren werde, da die Regierung republikweit eine Vereinheitlichung der Kriterien für den Steuervollzug anstrebe: "Dann ist es egal, ob Bundes- oder Länderbeamte Steuern einziehen." Für Körper hingegen ist eine Bundesbehörde "einfach vernünftig", es gehe dabei "um sehr viel Geld". Die demografische Entwicklung werde ohnehin effiziente administrative Strukturen erzwingen. Eine Bundesverwaltung hält auch Gysi vonnöten: Die bei der Föderalismusreform "eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung des Steuervollzugs sind Schritte in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus".
Zu den Baustellen gehört aus Sicht Wielands nicht zuletzt die Bildung: Es sei "verkehrt", dass für diesen Bereich allein die Länder zuständig seien und Investitionen des Bundes in diesen Sektor unterbleiben müssten. Es sei "ein Stück Unehrlichkeit im Spiel", betont der Berliner Landespolitiker: So werde es "augenzwinkernd akzeptiert", dass Bundesmittel aus dem Konjunkturpaket über ökologische Baumaßnahmen eben doch in den Schulbereich flössen. Wie Wieland verlangt auch Die Linke eine Aufhebung des Kooperationsverbots.
Kuhn attackiert den Umstand, dass der Bund bei Investitionen und bei Bildungsstandards nichts zu sagen hat, drastisch so: Das sei "ein großer Murks, das muss weg".
Im Übrigen stellt sich die Frage, ob nicht die aktuell massive Kreditaufnahme des Staates die Schuldenbremse für Bund und Länder unterlaufen wird. Antja Tillmann weist solche Kritik zurück: Dieses Konzept sei samt der Ausnahmeregelungen "krisenfest formuliert". Wieland dagegen rechnet damit, dass schon in wenigen Jahren eine Debatte über "gestreckte Zeitpläne" beginnt. Kuhn vermutet, "dass die Schuldenbremse der Länder spätestens im Vorfeld von 2019 im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Länderfinanzausgleichs und des Solidarpakts zerredet wird".
Auch die FDP hat den Finanzausgleich schon im Blick: Die Liberalen wollen dessen Volumen "im Endziel", so Burgbacher, um 50 Prozent reduzieren - was vor allem den süddeutschen Geberländern zugute käme.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.