STRAFVOLLZUG
Eine Bilanz der neuen Länder-Verantwortung
Bis heute ist es in der Fachöffentlichkeit des Strafvollzugs in Deutschland nicht nachvollziehbar, warum im November 2004 der Bund den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug angeboten hat. Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte in ihren wenigen öffentlichen Äußerungen zu diesem Thema nur Bedenken erkennen lassen - die Fachwelt wartet auch heute noch auf eine klare, wenn auch nachträgliche Begründung ihres Positionswandels.
Im Bundestag waren alle Oppositionsfraktionen gegen die Übertragung, ebenso weite Teile der SPD-Fraktion und beachtliche Einzelstimmen aus der CDU-Fraktion - nur die Einbindung des Vollzugsthemas in das Gesamtpaket der Föderalismusreform hat letztlich zur 2/3-Mehrheit und zur Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder geführt. Vollzugspolitisch einmalig war die Nichtberücksichtigung der vollständig ablehnenden Stellungnahmen der Fachorganisationen und Interessengruppen.
Die Befürchtungen der Fachwelt wurden unter dem Slogan vom "Wettbewerb der Schäbigkeit" pointiert zugespitzt. Dies richtete sich gegen das Hauptargument der Befürworter der Übertragung, dass die bisherigen Erfahrungen mit der Bundeskompetenz dazu geführt hätten, dass der für die Finanzierung nicht zuständige Bund fachliche und personelle Standards festsetzen würde, die von den chronisch überlasteten Ländern nicht mehr zu finanzieren wären.
Ein "Wettbewerb der Schäbigkeit" ist in der Entwicklung des Jugendstrafvollzugs offenkundig nicht eingetreten: Ganz im Gegenteil sind mit dem Ausbau des Wohngruppenvollzugs, des Sozialen Trainings und der Sozialtherapie bundesweit wichtige Innovationen festzustellen. Schon wird von einem "Wettbewerb der Konzepte" gesprochen - allerdings wurde der Jugendstrafvollzug schon immer unter präventiven Gesichtspunkten im Vergleich zum Erwachsenenvollzug mehr gefördert und besser ausgestattet.
Neue Landesgesetze zum Erwachsenenvollzug gibt es bereits in Bayern, Hamburg und Niedersachsen - sie beschreiben allerdings mehr die jeweilige Ist-Situation. Jede Innovation ist für diese Gesamtgruppe (ca. 92 Prozent der ca. 75.000 Inhaftierten sind Erwachsene ) ungleich folgenreicher und kostenaufwendiger. Die bereits vorhandenen Ländergesetze und die Entwürfe zu den Neuregelungen machen allerdings deutlich, dass auch bei allen Sparmaßnahmen der Länder die vollzuglichen Interessen größtmöglich berücksichtigt werden, jedenfalls finden in diesem Aufgabenbereich keine überproportionalen Kürzungen statt.
Eine Zwischenbilanz fällt positiver als erwartet aus: Durch die Föderalismusreform hat kein Abbau der Leistungen des modernen Behandlungsvollzugs stattgefunden. Was indes immer mehr zurückgeht, ist der bundesweite Fachdiskurs, die gesamtstaatliche Verantwortung, der Zusammenhang zur europäischen und internationalen Entwicklung. Insofern müssen mittel- und langfristige Effekte sorgfältig beobachtet werden.
Und das innovative Potenzial entwickelt sich zurzeit mehr aus der lokalen Praxis heraus - Ausbau der Gerichts- und Bewährungshilfe, Förderung der Freien Straffälligenhilfe, Entwicklung von Verbundsystemen und Übergangsmanagement. All dies sind qualitative Veränderungen, die zwar fachlich dringend angezeigt sind, um die ambulante und stationäre Resozialisierung zu verbessern. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber zeigen aber wenig Bereitschaft, über den beschriebenen Status quo hinaus neue Wege zu beschreiten.
Der Autor ist Honorarprofessor
an der Universität Lüneburg und
Schriftleiter von "Forum Strafvollzug".