Teil 2: Die Namensgeber der Bundestagshäuser
Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das jüngste der Bundestagsgebäude, wurde 2003 eröffnet. Es beherbergt die Bibliothek und die Wissenschaftlichen Dienste. Benannt ist es nach einer der bedeutendsten Sozialpolitikerinnen und wichtigsten Vertreterinnen der Frauenbewegung in Deutschland.
Marie-Elisabeth Lüders wird am 25. Juni 1878 in Berlin geboren, ihr Vater war höherer preußischer Regierungsbeamter. Lüders besucht eine Höhere Töchterschule und eine Wirtschafts-Frauenschule. Nachdem Frauen 1908 in Preußen erstmals das Recht auf Immatrikulation gewährt wird, schreibt sich die 20-Jährige ein Jahr später an der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, im Fach Staatswissenschaften ein. Als erste Frau in Deutschland promoviert sie 1912 zum Dr. rer. pol. Bereits 1909 gründet Lüders den "Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau".
Im Ersten Weltkrieg leitet sie eine Abteilung des preußischen Kriegsamts für die gesamte Frauenarbeit in Deutschland. An der Westfront erlebt sie das Elend der Soldaten, und auch das der Frauen, die unter anderem in der Munitionsherstellung arbeiten. Über die soziale Lage hinter der Front berichtet Lüders in verschiedenen Ausschüssen des Kriegsministeriums.
Nach Kriegsende erhalten mit Gründung der Weimarer Republik die Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Auch Marie-Elisabeth Lüders wählt zum ersten Mal. Im November 1918 wird sie Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Für den verstorbenen Friedrich Naumann rückt sie im August 1919 als eine der ersten weiblichen Abgeordneten in die Verfassungsgebende Nationalversammlung nach. Dort kämpft sie für die Gleichberechtigung der Frau und setzt sich für Arbeitslosenhilfe, Kinder- und Jugendschutz und eine Reform des Strafrechts ein. Sie engagiert sich in vielen politischen Bereichen, die bis dahin ausschließlich Männerdomänen waren, wie Recht, Handels- und Wirtschaftspolitik.
Bis 1933 sitzt Lüders als einzige Frau im Präsidium des Deutschen Normenausschusses beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) sowie im Präsidium des Finanz- und Verwaltungsausschusses des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gerät Lüders in den Fokus der Nationalsozialisten. Sie verliert alle Ämter und erhält Berufs- und Publikationsverbot. 1937 kommt sie für vier Monate in Gestapohaft wegen des Vorwurfs der Werkspionage. Nach Protesten von internationalen Frauenorganisationen und Angehörigen des Diplomatischen Corps kommt sie frei. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich während dieser ganzen Zeit durch Hilfsarbeiten in der Wissenschaft und der Sozialpflege, später während des Krieges auch mit Landarbeit und Privatunterricht.
1948 wird Marie-Elisabeth Lüders Stadtverordnete der LDP/FDP Berlin und ab 1949 Stadträtin für das Sozialwesen. Sie setzt sich insbesondere dafür ein, die Fürsorge und die ärztliche Versorgung wiederaufzubauen. 1953 und 1957 zieht die Sozialpolitikerin für die Berliner FDP in den Deutschen Bundestag ein. Den 2. Deutschen Bundestag eröffnet sie als Alterpräsidentin im Oktober 1953. Im Rechtsausschuss engagiert sie sich auch für das "Gesetz betreffs die Gleichberechtigung der Frauen", das aber erst 1957 verabschiedet wird.
Ebenfalls 1957 tritt das "3. Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit" in Kraft, das so genannte "Lex Lüders". Mit diesem Gesetz verlor eine Frau, die einen Ausländer heiratete, nicht mehr automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit wurde das so genannte Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 korrigiert, das Marie-Elisabeth Lüders bereits in der Weimarer Republik bekämpft hatte.
1958 verleiht ihr Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister Berlins, im Rathaus Schöneberg zu ihrem 80. Geburtstag die Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt.
1961 scheidet Marie-Elisabeth Lüders aus dem Parlament aus. Sie stirbt am 23. März 1966 nach schwerer Krankheit in Berlin.