"Es geht mir sehr gut", versichert der Bundesminister a. D. und lächelt entspannt. Es gehe ihm deshalb so gut, erklärt Walter Riester (SPD), Arbeits- und Sozialminister der Ära Schröder, "weil ich absehbar die verpflichtende Verantwortung des Deutschen Bundestages ablegen kann". In keinem der Gespräche mit ausscheidenden Abgeordneten war die Last politischer Arbeit bisher so klar, fast schon gestanzt, angesprochen worden. "Offen zu sein für neue Dinge" und "vor allem im privaten Bereich, 'der ja sehr gelitten hat', das sei ihm schon sehr wichtig", betont Riester.
Denn Leid habe ja vor allem seine Familie gehabt, und "da nun einiges zu verändern, finde ich ganz gut". "Auch meine Frau freut sich. Wir werden nun wahrscheinlich oder zumindest zum größten Teil in unserem Haus in Österreich sein, in schöner Lage am Ossiacher See in Kärnten" - und "das klingt doch alles sehr erfreulich, oder?"
Bereits 2005 hatte Riester aufhören wollen, denn "mein Ziel war ja nie, hauptamtlich in die Politik einzutreten". Aber auf Drängen der Partei und nachdem er mit seiner Frau gesprochen hatte, trat er noch einmal im Wahlkreis Göppingen in Baden-Württemberg an, der noch nie von der SPD gewonnen worden war.
Damit habe er Zeit gehabt, sich auch um seine Nachfolge zu kümmern: ein "sehr qualifizierter junger Mann" aus der Region, mit Erfahrung im Sport-Vereinswesen, in der Jugendarbeit, im Jugendgemeinderat. Das Vertrauen der Partei für den Nachfolger sei "so groß gewesen, das er bereits das Mandat für den Kreisvorsitz erhalten" habe. "Der einzige Vorbehalt, den es gab, war, dass er mit 26 vielleicht zu jung ist", lacht Riester. "Aber das ändert sich ja von Monat zu Monat."
Gefallen hat dem ehemaligen Tarifpolitiker der IG Metall, dass er 'damals' geholt wurde, um etwas Neues zu machen, um sozialpolitisch zu arbeiten. "Eine ergänzende, zusätzliche Rente aufzubauen, um die Gesamtversorgung im Alter zu verbessern - das war der zentrale Punkt, den ich mit Schröder 1998 besprochen hatte und der in keinem Wahlprogramm stand." Wirklich angerührt hat ihn wohl auch, das der Wahlsieger von 1998 zuerst auf ihn, Walter Riester, zum 55. Geburtstag anstoßen wollte und erst danach auf den Sieg.
"Der schwierigste Moment" in seinem politischen Leben sei für ihn die Entscheidung des Kanzlers gewesen, das Wirtschafts- und Arbeitsministerium zusammenzulegen. Er habe das damals mit den Worten kritisiert: "Wenn du den Clement als Wirtschaftsminister installierst mit dem Recht, das Arbeitsrecht zu verändern, so wird der bei Strafe eigener Bedeutungslosigkeit als Sozialdemokrat den Sirenengesängen der Wirtschaft folgen." Viel später habe Schröder ihm gesagt: "Du hast völlig recht gehabt. Das war ein Fehler." So etwas zugeben zu können, sei nur wenigen gegeben.
Zweifel an Erfolg und Ausrichtung der Riester-Rente will ihr Namensgeber nicht dulden. "Wenn der Vorwurf erhoben wird, schlechter Verdienende könnten sie sich nicht leisten", sagt Riester zum ersten Mal mit Härte in der Stimme, "so ist das nachweislich falsch. Es ist gesetzlich festgelegt, dass bereits ein Mindesteigensparanteil von 60 Euro im Jahr (also fünf Euro pro Monat) ausreicht, um alle Zulagen zu bekommen."
Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern, das Hartz IV erhält, gibt es pro Erwachsenem 154 Euro jährlich, pro Kind 185 Euro. "Das ergibt zweimal 154, also 308 Euro, plus zweimal 185, also 370 Euro - das sind jährlich 678 Euro bei einem Eigenanteil von 60 Euro! Und wenn einer sagt, ich kann bei einem Plus von jährlich über 600 Euro meine 60 Euro nicht beibringen, dann glaube ich ihm das nicht."
Auch nach dem Abschied gibt es da etwas Neues, was Riester antreibt, ohne dass es zulasten seiner Familie gehen soll. Noch in der jetzigen Wahlperiode hat der frühere Arbeitsminister als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Idee zum globalen Aufbau sozialer Sicherungen für alle Menschen unter den Bedingungen ihres jeweiligen Entwicklungs- oder Schwellenlandes mit einem Antrag im Plenum des Bundestages spruch- und handlungsreif gemacht.
Mit dem Rückhalt von vier Fraktionen hat sich die Regierung nun verpflichtet, solche Projekte finanziell und personell langfristig zu fördern (130 Millionen Euro im kommenden Jahr) und vierteljährlich über Fortschritte und Erfahrungen zu berichten.
Die Dringlichkeit des Vorhabens illustriert der nachhaltig orientierte Ruheständler an vielen Beispielen aus Mittelamerika, Südafrika, Indien oder, wie hier, an China: "Stellen Sie sich vor, in diesem bisher ländlich und vor allem in Großfamilien strukturierten Riesenland gehen plötzlich 200 Millionen junge Menschen zum Arbeiten in die Boomtowns an die Küste. Was passiert mit den rund 400 Millionen zurückgelassenen Eltern und Großeltern? Was kommt an Belastungen zusätzlich auf die Jungen zu oder wer kümmert wie sich um die Betreuung der 100 Millionen oder 200 Millionen Kinder?"
Und welche Auswirkungen habe es für die internationale Staatengemeinschaft, wenn die Probleme einer knappen Milliarde Menschen virulent werden? "'Die eiserne Reisschüssel', das bisherige Sicherheitsversprechen sozialer chinesischer Versorgung, gibt es nämlich nicht mehr", sagt Riester.