Soziale Marktwirtschaft, Westintegration und die Aussöhnung mit Frankreich - Konrad Adenauer hat wie kaum ein anderer die westdeutsche Nachkriegspolitik geprägt: Von 1949 bis 1963 dauerte die Kanzlerschaft des CDU-Politikers, die als Ära Adenauer in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Vor 60 Jahren, am 15. September 1949, wurde der damals 73-Jährige zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
14 Jahre war der am 5. Januar 1876 in Köln geborene Konrad Adenauer Bundeskanzler. Länger führte in Westdeutschland kein anderer die Regierungsgeschäfte. Dies gelang erst seinem "politischen Enkel" Helmut Kohl (CDU) im später vereinten Deutschland. Kohl war 16 Jahre im Amt.
Kurz war dagegen die Sitzung, in der der Bundestag am 15. September 1949 den Juristen Adenauer zum ersten Bundeskanzler wählte. Sie dauerte nur 47 Minuten. Um 11.06 Uhr eröffnete der damalige Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler (CDU/CSU) die Sitzung mit folgenden Worten: "Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu Punkt zwei der Tagesordnung: der Wahl des Bundeskanzlers." Schriftlich vorgeschlagen für dieses Amt hatte Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss (FDP) zuvor Dr. Konrad Adenauer. Dieser war bis zu seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten im März 1933 fast 16 Jahre Kölner Oberbürgermeister gewesen, nach Ende des Krieges 1945 dann Präsident des Parlamentarischen Rates und 1946 Vorsitzender der CDU in der britischen Zone geworden.
Nur wenige Minuten später traten die 402 Abgeordneten an die Wahlurnen, ermahnt vom Parlamentsoberhaupt Köhler, auf den ausgeteilten Stimmzetteln nur die Worte "Ja" oder "Nein" zu vermerken. Bei Enthaltung solle "nichts darauf geschrieben werden". Nicht alle Parlamentarier schienen ihm jedoch aufmerksam zugehört zu haben, sodass sich nach der Auszählung drei Stimmzettel fanden, auf denen der Name "Adenauer" notiert war.
Doch das änderte am Ergebnis der Abstimmung nichts: 202 Abgeordnete hatten mit "Ja" für den Kandidaten votiert, 142 gegen ihn, 44 Parlamentarier hatten sich ihrer Stimme enthalten (eine ungültige Stimme). So konnte der Bundestagspräsident kurz darauf verkünden, dass exakt die für die absolute Mehrheit erforderliche Mindestzahl von 202 der 402 stimmberechtigten Mitglieder des Bundestages für Adenauer votiert hatte. Damit war er mit einer Stimme mehr gewählt worden, als CDU/CSU und FDP eigentlich an Mitgliedern hatten.
Erst Jahre später gab der Bauernpartei-Abgeordnete Johann Wartner zu, entgegen der Weisung seines Vorsitzenden "wohl als einziger Oppositionspolitiker" an diesem Tag für Adenauer gestimmt zu haben. Die rasche Wahl des Kanzlers sollte als Zeichen für die neu gewonnene Demokratie gedeutet werden und deren Akzeptanz in der Bevölkerung fördern, so hoffte Wartner. Zumindest ersparte der Abgeordnete aus dem bayerischen Straubing Adenauer einen zweiten Wahlgang. Bundestagspräsident Köhler konnte so den "Herrn Abgeordneten Dr. Adenauer" fragen, ob er bereit sei, "die auf ihn gefallene Wahl zum Bundeskanzler anzunehmen". Dieser antworte mit nur einem Wort: "Ja." Als um 11:53 Uhr die Sitzung geschlossen wurde, hatte die Ära Adenauer begonnen.
Noch am selben Tag gab der neu gewählte Bundeskanzler der französischen Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) ein erstes Interview, in dem er insbesondere über seine außen- und deutschlandpolitischen Ziele sprach. So verlieh Adenauer seinem Wunsch Ausdruck, die Beziehungen Deutschlands zum Westen könnten sich allmählich verbessern. Er hoffe, "dass Deutschland bald in die Gemeinschaft der europäischen Völker aufgenommen werde", so Adenauer.
Vor allem betonte der Bundeskanzler gegenüber der AFP die Bedeutung des deutsch-französischen Verhältnisses: Es bilde den "Angelpunkt des europäischen Zusammenschlusses". Noch deutlichere Worte fand er in seiner Regierungserklärung, die er am 20. September 1949 im Plenum des Bundestages ablegte: "Der deutsch-französische Gegensatz, der Hunderte von Jahren die europäische Politik beherrscht und zu so manchen Kriegen, zu Zerstörungen und Blutvergießen Anlass gegeben hat, muss endgültig aus der Welt geschafft werden."
Dementsprechend zielte Adenauers Außenpolitik zunächst auf eine Aussöhnung mit Frankreich. Diese war für ihn Bedingung für das Erreichen eines weiteren Ziels: die Westintegration. Die Einbindung sollte Deutschland international wieder eine gleichberechtigte Stellung verschaffen. Bald schon konnte Adenauer erste Erfolge vorweisen: Ende 1949 wurden viele Bestimmungen des Besatzungsstatuts aufgehoben, ein Jahr später begannen die Verhandlungen über den so genannten Schuman-Plan, die in der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mündeten.
Der am 18. April 1951 unterzeichnete EGKS-Vertrag gilt heute als Grundstein für die weitere europäische Einigung. Auch für einen weiteren französischen Vorschlag hatte sich Adenauer damals offen gezeigt: Als die USA und Großbritannien wegen des Korea-Krieges auf einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Europas drängten und die französische Regierung im Oktober 1950 den Aufbau einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) anregte, reagierte der deutsche Kanzler zustimmend. Frankreich wollte zwar in erster Linie eine eigenständige deutsche Armee verhindern. Adenauer sah darin aber auch Vorteile: Die EVG war für ihn der Schlüssel zur Souveränität.
Die Politik der Westbindung und Wiederbewaffnung war allerdings nicht unumstritten. Vor allem die Opposition befürchtete, sein außenpolitischer Kurs werde die deutsche Teilung vertiefen und Deutschlands Chancen auf die Wiedervereinigung verschlechtern. Die Mehrheit der Wähler bestätigte Adenauer aber 1953 im Amt. Und der Erfolg gab Adenauer Recht: 1954 beseitigten die Pariser Verträge das Besatzungsstatut und Deutschland wurde (zumindest beschränkt) wieder souverän.
Auch begann dank Währungsreform und sozialer Marktwirtschaft Deutschlands Ökonomie zu boomen. Während Kritiker aufgrund Adenauers Machtfülle die Bonner Republik als "Kanzlerdemokratie" bezeichneten, wuchs in der Bevölkerung seine Popularität. Noch drei Mal gewann Adenauer als Spitzenkandidat Bundestagswahlen. 1957 errang er für seine Partei sogar die absolute Mehrheit.
Adenauers Regierungspolitik bekam jedoch in den folgenden Jahren Züge der Erstarrung. Insbesondere in der Deutschlandpolitik fehlten neue Initiativen. Schließlich veranlasste der wachsende Druck seitens der FDP und auch aus den eigenen Reihen Adenauer dazu, in der Mitte seiner vierten Amtszeit, am 15. Oktober 1963, zugunsten Dr. Ludwig Erhards vom Amt des Bundeskanzlers zurückzutreten.
Die Früchte seiner Bemühungen um die deutsch-französische Aussöhnung konnte er jedoch noch selbst ernten: Im Januar unterzeichnete er für Deutschland den Elysée-Vertrag - einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, in dem beide Länder eine weitreichende politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit vereinbarten.
Nach seinem Rücktritt wurde Adenauer 1964 noch einmal als CDU-Vorsitzender wiedergewählt, auch zog er 1965 erneut als Abgeordneter in den Bundestag ein. Zeit widmete er zudem seinen Memoiren, die in zwei Bänden 1965 und 1966 erschienen.
Adenauer zählt bis heute zu den deutschen Politikern, die sich international hohes Ansehen erwarben. Insgesamt 54 offizielle deutsche und ausländische Orden und Ehrenzeichen, die ihm zu Lebzeiten verliehen wurden, zeugen davon.