"Nach meinen Informationen liegt die Quote der Neuen diesmal weit höher als bisher", erläutert Detlef Parr das Wechselspiel von ausscheidenden Abgeordneten und Neuzugängen bei jeder Bundestagswahl. Der FDP-Mann bezweifelt, dass es bei den etwa 200 Abgeordneten (von rund 600) bleiben wird, die nach jeder Legislaturperiode den Bundestag verlassen und Platz machen oder machen müssen für neugewählte Bundestagsabgeordnete.
"Man spricht von über 40 Prozent", betont er - eine Zahl, die uns in anderen Interviews bestätigt wird. "Das könnte eine deutliche Verjüngung geben", resümiert Parr, zögert eine Sekunde und ergänzt: "Damit stellt sich für mich auch die Frage, ob es denn richtig ist, wenn eine immer älter werdende Bevölkerung in Deutschland von einem Bundestag vertreten wird, der sich immer mehr verjüngt", und "ob wir das nicht vielleicht ein wenig zu leichtfertig betreiben."
Erfahrungen mit politischem Wechsel sind Parr nicht fremd. 1990 stand er zum ersten Mal als Bundestagskandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen zur Wahl: "Ich bin damals auf Platz 18 der Liste gelandet", sagt er, "…bei Siebzehn klappte die Tür zu." Ab Februar 1994 habe er dann als Nachrücker "ein Jahr Aufwärmarbeit im Parlament leisten dürfen", war dann wieder die Nummer drei hinter Burkhard Hirsch und Hans-Dietrich Genscher.
"Hirsch hat mich lange im Ungewissen gelassen", erinnert sich der 67-Jährige. Nicht zuletzt wegen dieser eigenen Erfahrung habe er "rechtzeitig ein Signal geben" wollen, als er vor Jahresfrist sein Aufhören öffentlich machte. Ihm selbst sei aber eigentlich schon mit der Abstimmung zur Kandidatur 2005 klar gewesen, dass dies seine letzte Legislatur sei, sagt Parr. Seine damalige Nominierung sei "zwar mit großer Mehrheit erfolgt", es war aber doch eher als Signal gemeint worden: "Alter, jezz issed an der Zeit", wie es in Düsseldorf salopp heiße.
Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass Ängste vor Bedeutungsverlust oder Machteinbuße sich bei diesem Interviewpartner in Grenzen halten. Dazu passt auch die Antwort auf die Frage, was denn seine Frau zu seinem Aufhören sage: "Nichts, sie war doch von vornherein in die Entscheidung einbezogen." Allerdings sei sie als vollbeschäftigte Projektleiterin eines arabischsprachigen Gesundheitsmagazins nun etwas neidisch auf ihn, denn sie würde ja ebenfalls "gern etwas weniger arbeiten als bisher".
Doch zuhause bleiben will Parr ohnehin nicht. Auch ohne Abgeordnetenstatus will er den "Kontakt nach Berlin halten, beraten, bewegen, mitarbeiten". Dabei spielt das Materielle "nicht wirklich eine Rolle". Aha, also bürgerschaftliches Engagement? "Nein, nicht alleine" - der Frage nachgehend "Was kann ich mit meinen Kenntnissen und Kontakten bewegen?", will sich Parr weiterhin in der Gesellschaft engagieren, "den Tendenzen einer immer mehr drohenden "Verbotsrepublik" entgegenzuwirken."
"Seit langem ist zu beobachten, dass Probleme der Gesellschaft verstärkt ‚wahrgenommen’ werden, um Gesetze zu verschärfen", erklärt Parr. Statt versprochener Heilslösungen nehme damit aber nur die Gängelung der Bürger zu. "Mehr Information statt Einschränkung" fordert der Liberale (nicht nur) mit Blick auf die ausufernde Gesetzgebung durch Ge- und Verbote bei Waffen, Rauchen oder im Straßenverkehr.
Dagegen könne "ein Übermaß an ungesteuerter Information im Bundestag und ein falsches Verständnis von Öffentlichkeit im Ausschuss dazu führen, bestimmte Themen nicht von der Sache her, sondern aus Gründen der Profilierung aufzugreifen. Die grundsätzliche Öffnung vieler Ausschüsse lässt viele inhaltliche Diskussionen zu Schaufensterthemen verflachen", warnt Parr.
Auf die Frage nach politisch-persönlichen Höhen und Tiefen weiß der Liberale ein halbes Dutzend schöner Geschichten aufzuzählen, benennt aber als einen Tiefpunkt ein Ereignis, das andere längst vergessen wähnen. Ein "sachlich-fachlicher Höhepunkt" war für das damalige Mitglied des Gesundheitsausschusses und der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" die Plenardebatte des Bundestages zum Thema "Embryonale Stammzellenforschung" im Jahr 2002.
In enger Zusammenarbeit mit Edzard Schmidt-Jortzig, heute Vorsitzender des Nationalen Ethikrates, hatte er sich "sehr intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt und durfte als dritter Redner für unsere Fraktion reden, obwohl es ja in dieser Frage keine parteipolitische Bindung gab. Das war für mich eine Sternstunde, und ich glaube, auch für den Bundestag war die gesamte Debatte eine Sternstunde". Parr lächelt kurz und ergänzt: "Und für mich als Oppositionspolitiker war es mal sehr schön, ein Mehrheitsvotum des Hauses mittragen zu dürfen."
Als "persönlich-politischen Tiefpunkt" bezeichnet der Düsseldorfer Realschulrektor "die Nachricht vom Tod Jürgen Möllemanns" am 5. Juni 2003. Was ihn "besonders getroffen" habe, war die Tatsache, dass der Mann, den er wegen seiner bildungspolitischen Arbeit sehr geschätzt habe, "nach der unseligen Geschichte mit Friedman und dem Flugblatt schließlich jeden Zugang, jedes persönliche Gespräch und beim letzten Aufenthalt im Plenum sogar jeglichen Blickkontakt verweigert hatte".