Geschäftsordnung des Bundestages
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Beschlussfähigkeit und Abstimmungen
Die Fernsehzuschauer sehen das Parlament von hinten oder von der
Seite, der amtierende Sitzungspräsident hingegen von vorne.
Nirgends werden diese unterschiedlichen Blickwinkel der Zuschauer
und des Präsidenten so deutlich wie bei der Feststellung der
Beschlussfähigkeit. Wer von beiden einen "Knick in der Optik"
hat, ist bedeutungsvoll für den parlamentarischen Alltag, der
von der Terminvielfalt und den Terminüberschneidungen der
Abgeordneten gekennzeichnet ist. Nach der Geschäftsordnung ist
der Bundestag beschlussfähig, "wenn mehr als die Hälfte
seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist". Doch wer kann
schon auf Anhieb einschätzen, ob er 335 Frauen und Männer
verstreut sitzen sieht oder weniger. Daher hat der Präsident
gar nicht das Recht, "angesichts leerer Stühle" die
Beschlussunfähigkeit des Bundestages in alleiniger Vollmacht
festzustellen. Statt dessen kann die Beschlussfähigkeit des
Plenums von einer Fraktion oder einem Zwanzigstel der Mitglieder
des Bundestages oder aber vom Sitzungsvorstand (amtierender
Präsident mit beiden Schriftführern) im Einvernehmen mit
den Fraktionen (die Zustimmung einer Fraktion reicht nicht)
bezweifelt werden. Die Beschlussfähigkeit oder bei sogenannten
Kernzeit-Debatten der Grad der Anwesenheit (ein Viertel der
Abgeordneten muss anwesend sein) kann im Zusammenhang mit den
Abstimmungen festgestellt werden, indem die Gesamtzahl der Stimmen
gezählt wird. Abgestimmt wird auf drei Arten: mit Handzeichen
oder mit Aufstehen an den Abgeordnetenplätzen, dem Gang durch
drei Türen (für Ja, Nein und Enthaltung, in Anspielung
auf die Illustration über einer im Reichstag dazu benutzten
Türe auch als "Hammelsprung" apostrophiert) oder der
namentlichen Abstimmung mit gekennzeichneten Stimmkarten, die in
Urnen geworfen werden.
Bei der Abstimmung über Sachfragen, zum Beispiel
Gesetzentwürfen wird in der Regel durch Handzeichen votiert.
Bei der Schlussabstimmung über Gesetzentwürfe werden die
Zustimmung und die Ablehnung (Gegenprobe) durch Aufstehen bekundet.
In der Mehrzahl der Fälle reicht die "einfache Mehrheit", das
ist die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten. In bestimmten
Fällen verlangen das Grundgesetz, ein Gesetz oder die
Geschäftsordnung für einen Beschluss oder eine Wahl die
"absolute Mehrheit" (das ist die Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages in der jeweiligen Wahlperiode, also die sogenannte
Kanzlermehrheit) oder gar die Zweidrittelmehrheit, die sich
ebenfalls nach der Gesamtzahl der Abgeordneten richtet. Mit
Ausnahme der namentlichen Abstimmung ist das Abstimmungsergebnis im
nachhinein keinem einzelnen Abgeordneten mehr zuzuordnen.
Allerdings ist die namentliche Votierung, die ohne besondere
Begründung von einer Fraktion oder einer entsprechenden
Mindestzahl von Abgeordneten beantragt werden kann, bei einer Reihe
von parlamentsinternen Verfahrensfragen unzulässig.