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Stand: 31.3.2010
Die Prüfung der Gültigkeit der Bundestagswahl oder – kurz – die Wahlprüfung ist nach Artikel 41 Abs. 1 Satz 1 GG Sache des Bundestages, dessen Entscheidungen aber gemäß Art. 41 Abs. 2 GG in Verbindung mit §§ 13 Nr. 3, 48 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft werden können.
Das Verfahren der Wahlprüfung durch den Bundestag ist im Wahlprüfungsgesetz1 geregelt. Hiernach erfolgt die Wahlprüfung nur auf Einspruch, den jeder Wahlberechtigte innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag beim Bundestag einlegen kann. Innerhalb des Bundestages ist zunächst der Wahlprüfungsausschuss zuständig, der dem Plenum Beschlussempfehlungen zu den eingegangenen Wahleinsprüchen vorlegt.
Ein Wahleinspruch führt nur unter zwei Voraussetzungen zur Ungültigkeit der Wahl und damit ggf. zu Wiederholungswahlen. Zum einen muss ein Verstoß gegen rechtliche Vorgaben für die Vorbereitung oder Durchführung der Wahl – ein sog. Wahlmangel oder Wahlfehler – vorliegen. Solche Vorgaben ergeben sich aus dem Bundeswahlgesetz, der Bundeswahlordnung, aber auch unmittelbar aus der Verfassung, namentlich aus den in Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG festgelegten Wahlgrundsätzen. Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften ist allerdings nach ständiger Spruchpraxis des Bundestages keine vornehmliche Angelegenheit der Wahlprüfung und bleibt grundsätzlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Die zweite Voraussetzung für den Erfolg eines Wahleinspruchs ist die Mandatsrelevanz des Wahlfehlers. Das bedeutet, der Wahlfehler muss sich auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt haben oder ausgewirkt haben können, wobei es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit, sondern um eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende handeln muss. Nicht zuletzt wegen dieser hohen Hürden hat bislang noch nie ein Wahleinspruch oder eine beim Bundesverfassungsgericht eingelegte Wahlprüfungsbeschwerde zu Neuwahlen geführt.
Der Wahlprüfungsausschuss wertet auch Wahlfehler, die keine Auswirkungen auf die Sitzverteilung im Bundestag haben, aus, weil auf diese Weise verhindert werden kann, dass sich Fehler bei künftigen Wahlen wiederholen. Dadurch trägt die Wahlprüfung zur Fortentwicklung des Wahlrechts bei, weil der Bundestag aufgrund der im Rahmen der Wahlprüfung gemachten Erfahrungen die Bundesregierung häufig bittet, die Änderung bestimmter Wahlrechtsvorschriften zu prüfen.
Rechtsgrundlage für die Wahlprüfung sind Artikel 41 GG, das Wahlprüfungsgesetz (ein reines Verfahrensgesetz, das Gegenstand, Ziel und Verfahren der Wahlprüfung festlegt, aber keine materielle Aussagen über Wahlfehler, Wahlungültigkeiten und deren Rechtsfolgen enthält) sowie das materielle Wahlrecht. Zum materiellen Wahlrecht gehören insbesondere die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung. Das formelle Wahlprüfungsrecht (Wahlprüfungsgesetz vom 12. März 1951) wurde zuletzt durch Gesetz vom 6. Juni 2008 (BGBl. I S. 994) geändert.
Das Wahlprüfungsgesetz räumt dem Wahlprüfungsausschuss u. a. das Recht ein, von der Durchführung einer sonst obligatorischen öffentlichen mündlichen Verhandlung über jeden Wahleinspruch dann abzusehen, wenn dieser Einspruch offensichtlich unbegründet ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, auf die sich der Wahlprüfungsausschuss stützt, müssen Wahleinsprüche als unbegründet angesehen werden, die auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages keinen Einfluss gehabt haben bzw. haben konnten (BVerfGE 40,11). Bisher wurden unter Berufung auf diese Auslegung alle Wahleinsprüche sowohl vom Bundestag als auch (bei Beschwerde) vom Bundesverfassungsgericht als unbegründet oder unerheblich zurückgewiesen.
Inhaltlich lassen sich die bisherigen Wahleinsprüche folgendermaßen unterscheiden:
Die Gesamtzahl der eingegangenen und vom Bundestag behandelten Wahleinsprüche zu den Bundestagswahlen von 1949 bis 1990 (1.–12. Wahlperiode) beträgt 427; sämtliche dieser Wahleinsprüche sind vom Bundestag zurückgewiesen worden.
12. WP 1990–1994 |
13. WP 1994–1998 |
14. WP 1998–2002 |
15. WP 2002–2005 |
16. WP 2005–2009 |
17. WP 2009– | |
---|---|---|---|---|---|---|
Eingegangene Wahleinsprüche | 83 | 1453 | 110 | 520 | 195 | 163 |
davon im Bundestag (Plenum) behandelte2 | 80 | 1437 | 102 | 453 | 175 | |
Begründung des Einspruchs: | ||||||
Wahlvorenthaltung, Nichteintragung in das Wählerverzeichnis, Nichtzugang von Briefwahlunterlagen, Mängel bei der Durchführung der Wahl | 39 | 32 | 54 | 46 | 80 | |
allgemeine rechtliche und politische Vorbehalte | 15 | 13643 | 38 | 3874 | 73 | |
Nichtzulassung von Parteien bzw. Wählergruppen oder Einzelbewerbern zur Wahl | 20 | 5 | 8 | 6 | 31 | |
unrichtige Auszählung der Stimmen, Mehrfachwahl | 3 | 5 | 9 | 3 | 6 | |
sonstige Begründungen | 3 | 11 | – | 10 | 5 | |
ohne Begründung | 0 | 20 | 1 | 1 | 0 | |
Vom Bundestag zurückgewiesen: | ||||||
als offensichtlich unbegründet | 78 | 1383 | 90 | 2005 | 1676 | |
als unzulässig wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Ausschlussfrist (§ 2 Abs. 4 Wahlprüfungsgesetz) | 0 | 9 | 9 | 233 | 4 | |
als unzulässig wegen Verlustes des Wahlrechts (§ 2 Abs. 4 Wahlprüfungsgesetz) | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | |
als unzulässig wegen Ausschlusses vom Wahlrecht (infolge Richterspruchs, Pflegschaft, Entmündigung; § 2 Abs. 4 Wahlprüfungsgesetz) | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | |
als unzulässig wegen sonstiger Gründe | 1 | 4 | 0 | 0 | 17 | |
als unzulässig wegen bestimmter Mängel (§ 2 Abs. 3 Wahlprüfungsgesetz) | 0 | 29 | 3 | 20 | 3 | |
Anderweitige Erledigung (kein Einspruch, sondern Petition: Einspruch vom Einspruchsführer zurückgenommen) | 3 | 28 | 8 | 67 | 208 |
1 Wahlprüfungsgesetz vom 15. März 1951 (BGBl. I S. 166), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Juni 2008 (BGBl. I S. 994).
2 Bei den übrigen Einsprüchen stellte der Bundestag das Verfahren ein.
3 Hauptsächlich Wahleinsprüche wegen der hohen Zahl der Überhangmandate.
4 Davon beziehen sich 337 Wahleinsprüche auf das Thema „Vorwurf des Wahlbetrugs“.
5 Davon wurden zwei Wahleinsprüche teilweise als unzulässig und teilweise als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
6 Davon wurden vier Einsprüche teilweise als unzulässig zurückgewiesen, bei zwei weiteren wurde das Verfahren teilweise eingestellt.
7 Keinerlei Angabe von Kontaktdaten des Einspruchsführers.
8 In diesen Fällen wurde das Verfahren eingestellt.
Quelle: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages; Wolfgang Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag. Kommentar zum Bundeswahlgesetz, Köln, 8., völlig neu bearb. Auflage 2009, § 48 Rn. 14 ff.; Helmut Winkelmann, Kommentar Wahlprüfungsgesetz, in: Das Deutsche Bundesrecht, I A 21, S. 7 – 24.
Angaben für den Zeitraum bis 1990 s. Datenhandbuch 1949 – 1999, Kapitel 1.24.