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Ein Europa, das nachhaltig wirtschaftet und sozial gerecht ist - das will die Europäische Union mit der Strategie "Europa 2020“ erreichen. Ob die von der EU bisher vorgelegten Ideen aber umsetzbar sind, darüber waren sich die Fraktionen am Donnerstag, 20. Mai 2010, im Bundestag nicht einig. Während die einen Ziele wie eine Quote zur Senkung der Armut befürworteten, hielten die anderen solche Ziele für unpraktikabel.
"Diese Woche ist geprägt von schwerwiegenden Entscheidungen für Deutschland und die Europäische Union“, leitete Gabriele Molitor (FDP) ihre Rede ein. Es werde deutlich, dass die Mitglieder "in einem Boot sitzen“. Die Strategie 2020 solle ein Konzept sein, wie die EU ihre Position in der Welt sicher könne.
Es sei wichtig, dass die Union sich auf Kernziele konzentriere und sich nicht mit unsinnigen Regeln aufhalte. Als Beispiele nannte sie Vorschriften für den Krümmungsgrad von Gurken und das Verbot, Kinderwagen auf Rolltreppen mitzunehmen. Sie wandte sich gegen das Ansinnen der EU-Kommission, etwa die Armut eines Landes mit einer Quote zu messen. "Diese Idee ignoriert nicht-monetäre Maßnahmen“ wie Kinderbetreuung oder Unterstützung von Alleinerziehenden.
Hintergrund der Debatte war ein Antrag von Union und FDP ( 17/1758), mit dem die Fraktionen der Regierung einen Handlungsauftrag für die Verhandlungen über die Strategie "Europa 2020" im Juni in Brüssel erteilen wollen. Mit der Strategie will die EU Wachstum und Beschäftigung und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt und den Umweltschutz voranbringen.
Vorgänger dieses Plans ist der so genannte, im Jahr 2000 beschlossene Lissabon-Prozess zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU aus dem Jahr 2000, der in diesem Jahr ausläuft. Zu den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Kernzielen gehört die Erhöhung der Beschäftigung auf 75 Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren.
Außerdem sollen die Forschungsausgaben jedes Mitgliedslandes auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Die Quote des Armutsrisikos soll um ein Viertel gesenkt werden. Die Koalitionsfraktionen lehnen unter anderem die Quotierung des Armutsrisikos in ihrem Antrag ab.
Für Dr. Eva Högl (SPD) zeigte der Antrag "schwarz auf weiß die Handlungsunfähigkeit der Regierung“. Sie warf Union und FDP vor, keine Lehren aus den Mängeln der Ziele von Lissabon gezogen zu haben. Högl wertete es als schlechtes Signal, dass die Koalitionsfraktionen drei der fünf Kernziele, die die EU-Kommission benannt hatte, ablehnen.
Sie befürwortete die Einführung der Armutsquote. Mit der Unterzeichnung dieses Zieles bekunde ein Land den Willen, die Armut zu bekämpfen. "Wir brauchen mehr Europa in dieser Krise“, rief Högl.
"Sie sprechen von Verantwortung, wollen sich aber morgen bei der Abstimmung über das EU-Rettungspaket enthalten“, antwortete Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) auf Högl. Europa brauche Unterstützung und dürfe nicht nur mit der Krise identifiziert werden. Deswegen sei die Strategie 2020 so wichtig.
Wie die FDP-Politikerin Molitor lehnte er die Armutsrisikoquote ab. Sie sei ungeeignet, Armut zu messen. Auf die Vorwürfe der Opposition, die Koalition würde zu sehr auf das Subsidiaritätsprinzip dringen, also auf das Recht jedes EU-Mitgliedslandes, die vorgegebenen Ziele auf eigene Weise umzusetzen, antwortete er mit einer Gegenfrage: "Würden Sie sich von den Dänen den Kündigungsschutz vorschreiben lassen? Die haben nämlich gar keinen!“
Alexander Ulrich (Die Linke) sprach sich dafür aus, die Verabschiedung der Strategie angesichts der derzeitigen Krise zu verschieben. Es brauche mehr Zeit, um gute Ideen zu entwickeln, mit denen sich Europa besser gestalten lasse. Mit dem Lissabon-Prozess sei die "Zahl der Armutslöhne, der Kinderarbeit“ gewachsen. Als gescheitert wolle er die Idee hinter dieser Strategie nicht bezeichnen.
Seiner Ansicht nach ging es vor allem um Deregulierung und Privatisierung, diese Ziele seien erreicht worden. Er sah einen großen Widerspruch in dem Bestreben der EU und der Bundesregierung, sowohl für nachhaltiges Wachstum einzutreten als auch gleichzeitig große Summen sparen zu wollen. "Durch Sparen entsteht kein Wachstum und keine Verringerung von Armut“, sagte Ulrich.
Das Armutsziel zu verankern, sei "richtig und wichtig“, meinte Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen). "Die Menschen fragen sich: Wo ist das soziale Gesicht der Europäischen Union?“ Er warf Union und FDP eine "Vogel-Strauß-Politik“ vor. Das Subsidiaritätsprinzip sei inzwischen nicht mehr das Wichtigste.
Angesichts der Krise sei eine größere Koordination in der Wirtschaft, "mehr Governance“, nötig. Sarrazin forderte außerdem mehr Investitionen unter anderem in Kultur und Bildung.