Gegner und Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart
21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
haben vor dem Verkehrsausschuss unter Vorsitz von
Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen)
ihre Argumente ausgetauscht. In der öffentlichen Anhörung
am Mittwoch, 10. November 2010, verwies das
Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, Dr. Volker
Kefer, darauf, dass alle Genehmigungsverfahren für
die Projekte eingeleitet und bis auf zwei Verfahren auch bereits
durchgeführt seien. "Zu den wesentlichen Bauabschnitten liegen
rechtskräftige Genehmigungen vor“, betonte Kefer und
sprach sich für Weiterführung der Baumaßnahmen aus.
Dem entgegnete Prof. Dr. Christian
Böttger von der Hochschule für Technik und
Wirtschaft in Berlin, es existierten derzeit keine
Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Stuttgart 21. Für die
Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gebe es eine solche Berechnung, die
aber nicht veröffentlicht worden sei. Zudem gebe es eine Reihe
von Indizien, die darauf hindeuten würden, dass die
Wirtschaftlichkeit "gezielt günstig gerechnet
wurde“.
"Zukunftsfähiger als der bisherige Kopfbahnhof"
Grundlage der Anhörungen waren Anträge der SPD (
17/2933), der Linksfraktion (
17/2914) und von Bündnis 90/Die
Grünen (
17/2893), die einen Baustopp fordern. Dies
lehnte Bahn-Vorstand Kefer ab. "Fünfzehn Jahre Planung
dürfen nicht umsonst gewesen sein“, sagte er und verwies
dabei auch auf die städtebaulichen und verkehrstechnischen
Vorteile, die durch die Projekte erreicht würden. So
würden durch den unterirdischen Bahnhof "100 Hektar
städtebaulich wertvolle Fläche frei“. Zudem sei der
entstehende Durchgangsbahnhof "zukunftsfähiger als der
bisherige Kopfbahnhof“.
Dr. Udo Andriof, Sprecher des Bahnprojektes
Stuttgart 21, nannte es "politisch falsch“, ein
rechtstaatliches Genehmigungsverfahren durch einen Volksentscheid
aushebeln zu wollen. Das Projekt habe über Jahrzehnte hinweg
auf Bundes- wie auch auf Landes- und Kommunalebene eine
parlamentarische Mehrheit gefunden. Seiner Ansicht nach sind
Bürger im Planungsprozess durchaus beteiligt worden. Derartige
Großprojekte, so Andriof, brauchten öffentliche
Unterstützung ebenso wie Akzeptanz. Ihre Durchsetzung
dürfe aber nicht von der Stärke des Protestes
abhängen.
"Projekte passen zum Strukturwandel"
Von positiven wirtschaftlichen Effekten, die langfristig zu
erwarten seien, sprach Prof. Dr. Werner
Rothengatter vom Institut für Wirtschaftspolitik und
Wirtschaftsforschung. "Die Projekte passen zum Strukturwandel in
Baden-Württemberg“, sagte er. Zudem gebe es positive
Umwelteffekte wie die Reduzierung des Lärms, die Verlagerung
des Verkehrs auf die Schiene oder auch die Reduzierung der
versiegelten Flächen im Stuttgarter Innenstadtbereich um etwa
50 Hektar.
Realistische Alternativen zu Stuttgart 21 seien "weder bekannt
noch offengelegt“, sagte Prof. Dr. Ullrich
Martin, Direktor des Instituts für Eisenbahn und
Verkehrswesen. Vielmehr sei im Zusammenhang mit einer Klage gegen
den Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof im Jahre
2005 dem Vorwurf der fehlende Flexibilität "fachlich entgegnet
worden“.
"Engpass mit Milliardenaufwand"
Der Stuttgarter Kopfbahnhof sei keineswegs veraltet und
müsse daher auch nicht durch einen unterirdischen
Durchgangsbahnhof ersetzt werden, sagte der Verkehrsberater
Karlheinz Rößler. Der Kopfbahnhof sei in seiner
Leistungsfähigkeit durchaus optimierbar, da der Lokwechsel
heute kein Problem mehr sei.
Es gebe kaum eine deutsche Stadt, die einen Fernbahn- und
Regionalbahnhof mit nur acht Durchgangsgleisen habe, sagte
Rößler. Lediglich in Hamburg und Köln sei dies der
Fall, was auch immer wieder zu Engpässen führe. "Ein
solcher Engpass soll nun in Stuttgart mit Milliardenaufwand erst
gebaut werden“, kritisierte er.
"Entscheidungskultur, die die Menschen ausgrenzt"
Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr.
Christian Böttger vertrat die Ansicht, dass
zwar das Planungsrecht für die Projekte "unstrittig“
vorhanden sei. "Das Haushaltsrecht gebietet es aber schon, dass man
Projekte regelmäßig überprüft und auch
abbricht, wenn die Ziele nicht erreicht werden.“ Dies zu tun,
verstoße nicht gegen "demokratische Spielregeln“, sagte
Böttger.
Der Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch
sieht im Umgang mit Stuttgart 21 den "Prototyp einer
Entscheidungskultur, die die Menschen ausgrenzt“. Immer
wieder sei die Wahrheit - etwa über die Kostenentwicklung -
nur "scheibchenweise“ herausgekommen. Rockenbauch sprach von
einem "Projekt aus dem letzten Jahrtausend“. Heute wollten
die Menschen keine Investition mehr in Beton, sagte er und
erneuerte seine Forderung "Stoppen Sie Stuttgart 21“.
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Volker Kefer, Vorstandsmitglied der
Deutschen Bahn AG
- Dr. Udo Andriof, Regierungspräsident a.
D.
- Prof. Dr. Christian Böttger, Hochschule
für Technik und Wirtschaft, Berlin
- Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin, Direktor des
Instituts für Eisenbahn- und Verkehrswesen
- Diplom-Psychologe Karlheinz Rößler,
Geschäftsführer der Vieregg-Rößler GmbH
Innovative Verkehrsberatung
- Prof. Dr .rer. pol. Werner Rothengatter,
ehemaliger Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik und
Wirtschaftsforschung
- Hannes Rockenbauch, Aktionsbündnis gegen
Stuttgart 21