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Vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) hat der Geophysiker Heinz Nickel am Donnerstag, 11. November 2010, als Zeuge von seinen Messungen im Salzstock berichtet und behauptet, seine Ergebnisse seien im Nachgang nicht ausreichend gewürdigt worden. Dabei hätten die erworbenen Messdaten kritische Fragen zu einem Endlager in Gorleben für radioaktiven Müll aufgeworfen.
Nickel hatte zwischen 1958 und 1992 in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in der Abteilung für Geophysik gearbeitet. Unter anderem hatte er zwischen 1967 und 1977 eine Radiowellenmethode entwickelt, mit der sich sogenannte Nicht-Homogenitäten im Gestein aufspüren lassen - also Laugeneinflüsse, Gasvorkommen oder wasseraufnehmendes Anhydrit, allesamt kritische Faktoren für ein mögliches Endlager.
Bei seinen Messungen zwischen zwei Schachtvorbohrungen habe er ein Verhalten vorgefunden, "wie ich es noch nie erlebt habe“. Es seien mehr Energiewellen vom Gestein absorbiert worden als erwartet. "Das kann ein Hinweis auf Einlagerungen sein“, sagte Nickel. "Das kann Zweifel an der Eignungshöffigkeit wecken.“
Tatsächlich aber seien seine Ergebnisse nicht für den Zwischenbericht im Jahr 1983 verwendet worden, in dem sich die Physikalisch-Technische Bundesanstalt für eine untertägige Erkundung Gorlebens ausgesprochen hatte.
Ziel des Untersuchungsausschusses ist die Klärung, ob die Politik in diesem Jahr Einfluss auf die Wissenschaft in der Endlager-Frage genommen hat. "Zuerst musste mein Bericht mehrmals gekürzt werden, dann erschien nicht einmal meine einseitige Fassung im Zwischenbericht der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt“, sagte Nickel.
Gravierender sei ihm indes ein Eingriff in einen Bericht vorgekommen, den er für das Geologische Jahrbuch der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 1991 verfasst hatte. "Alle gorlebenkritischen Passagen zu meinen Messungen von 1983 sind in der Druckfassung gestrichen worden - ohne, dass man mich vorher davon informiert hat“, sagte Nickel.
Außerdem berichtete Nickel von seinen Zweifeln an den Kapazitäten eines Endlagers in Gorleben. "Ich bin der Meinung, dass der heutige Salzstock nicht in der Lage ist, alle Abfälle von allen Kernkraftwerken in Deutschland aufzunehmen.“
Gleichwohl hatte sich Nickel 1983 für eine untertägige Erkundung Gorlebens ausgesprochen. "Heute, bei dem, was in Gorleben angetroffen worden ist und bei den Salzrechten, würde ich nicht mehr weitererkunden.“ Einige Bodeneigentümer verweigern bis heute die Erkundung des Salzstocks unter ihrem Besitz. "Es wäre besser, jetzt andere Salzstöcke zu erkunden.“
Nickel erzählte schließlich von seinen Erfahrungen in Bonn, als er 1980 ein Jahr lang ins Bundeswirtschaftsministerium abgeordnet gewesen war. "In den Ministerien und der Kommission für Reaktorsicherheit musste ich einen Mangel an Informationen feststellen, den ich nicht vermutet hätte“, sagte er.
Ein Bericht von ihm zum Beispiel über Kapazitäten und Zeiträume der Erkundung habe drei Wochen lang im Ministerium kursiert, bis er sinnentstellt beim Abteilungsleiter angekommen sei. Auf der höheren Ebene indes sei er auf mehr Offenheit gestoßen - so beim Abteilungsleiter und später im Kanzleramt, wo der zuständige Abteilungsleiter seine Einschätzung geteilt habe, dass mehrere Paralleluntersuchungen notwendig seien.
Zuvor hatte Professor Michael Langer, ehemals Abteilungsleiter und Projektleiter Endlagerung bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, eine politische Einflussnahme auf die wissenschaftliche Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle im Jahr 1983 nicht gesehen. "Eine Weisung hätte man nie akzeptiert“, sagte er.
Die Entscheidung dieser Bundesanstalt und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, für eine untertägige Erkundung des Standorts Gorleben als mögliches Endlager zu plädieren, sei wissenschaftlich begründet gewesen.
Frühere Zeugen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hatten zum Beispiel von einem Treffen am 11. Mai 1983 berichtet, bei dem sie von Ministeriumsvertretern eine Weisung erhalten hätten, in ihrem Bericht nicht für die Erkundung weiterer Standorte einzutreten.
Langer räumte ein, bei diesem Treffen nicht anwesend gewesen zu sein. "Aus meiner Erinnerung war das aber nicht so dramatisch.“ Wegen der zeitlichen Enge habe es bei der Vorbereitung des Treffens keine Abstimmung zwischen den Wissenschaftlern gegeben, vermutete er. "Alle Beteiligten waren davon überzeugt, dass Gorleben untertägig erkundet werden sollte.“
Ferner beschrieb Langer Salz als geeignete Lagerform für Atommüll. Standortspezifisch gesehen sei Salz als Wirtsgestein vorzuziehen. "Wir waren einheitlich der Meinung, dass die norddeutschen Salzstöcke am meisten geeignet sind“ sagte er. "Wer Salz ablehnt, muss auch Granit und Ton ablehnen.“
Gleichwohl meinte Langer, dass die Suche nach einem "besten“ Salzstock wissenschaftlich nicht möglich sei. "Alle Salzstöcke unterscheiden sich voneinander und sind daher nicht miteinander vergleichbar.“ Allerdings habe es die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aufgrund ihrer Personalstärke nicht geschafft, auch weitere Salzstöcke zu untersuchen. (rüb)