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Ein halbes Jahr ist der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft. Er hat nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch die nationalen Volksvertretungen mit erheblich mehr Rechten ausgestattet. Doch welche Rolle spielt der Bundestag seither in europäischen Fragen? Kann er seine Informations- und Beteiligungsrechte tatsächlich nutzen? Diese Fragen waren am Montag, 28. Juni 2010, auch Thema der Diskussionsrunde "Parlamentarisches Forum Europas Zukunft" (PFEZ) im Bundestag. Geladen hatten die Europa-Union Parlamentariergruppe und die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Als prominente Gäste waren Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments und heutige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Hans-Gert Pöttering (beide CDU) ins Berliner Paul-Löbe-Haus gekommen.
Lammert machte schnell klar: Nicht allein der Vertrag als Rechtsform sichere den Abgeordneten ihren Einfluss. Viel entscheidender sei es, mit welchem Selbstbewusstsein die Abgeordneten von ihren neuen Rechten Gebrauch machten.
Lammerts Forderung: Mehr Ehrgeiz! Der Lissabon-Vertrag werde unter all den Verträgen der Europäischen Union als der "Parlamentsvertrag“ in die Geschichte eingehen. So schnell würde sich kein Vertrag wieder so ausführlich mit der Rolle der Parlamente befassen.
Eine große Chance also, sagte Lammert und appellierte an die Parlamentarier: "Jetzt kommt es darauf an, was wir daraus machen.“ Zugleich warnte er sie aber davor, ihre neuen Möglichkeiten inflationär zu nutzen. Schließlich sei es nicht möglich, alle Informationen und Dokumente zu verarbeiten, die den Bundestag aus Brüssel erreichen, betonte Lammert. „Wir müssen vorsichtig sein, dass wir uns nicht durch eine Überorganisation fesseln.“
Viel bedeutsamer sei es, zu selektieren und genau abzuwägen, an welchen Themen der Bundestag ein originäres Interesse habe. "Wir müssen wichtige Themen identifizieren und uns in die Lage versetzen, zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten in Verbindung zu treten“, sagte der Bundestagspräsident. Dafür sei Kontaktpflege vor Ort sehr wichtig. Das Verbindungsbüro des Bundestages habe sich in dieser Hinsicht als "außerordentlich nützlich“ erwiesen, sagte er.
Hans-Gert Pöttering stimmte Lammert zu und empfahl den Abgeordneten, ein "Netzwerk der Kommunikation“ zu schaffen und auch inoffizielle Verfahren zu pflegen. Entscheidend sei es, betonte Pöttering, sich daran zu gewöhnen, "dass wir in Deutschland vier politische Ebenen haben: die Kommunen, die Länder, den Bund und die Europäische Union“.
Es müsse in jedem Fall gut überlegt werden, welches Thema auf welcher Ebene behandelt werden soll. "Subsidiarität bedeutet nicht nur die Verlagerung auf die unteren Ebenen“, sagte er. "Sie bedeutet auch, Themen auf die höhere Ebene zu verlagern, wenn sie dort besser geklärt werden können." Als Beispiel nannte er die Energiepolitik, die zunächst eine nationale Frage gewesen sei, inzwischen aber auf europäischer Ebene entschieden werde.
Lammert machte klar, dass aus seiner Sicht nur die nationalen Parlamente das Subsidiaritätsprinzip wahren können. "Hüter des Subsidiaritätsprinzips ist nicht die EU-Kommission, nicht der Europäische Rat und auch nicht das Europäische Parlament“, sagte er. Der Bundestag und alle anderen nationalen Parlamente müssten sich intelligente Verfahren einfallen lassen, um ihren Einfluss zu sichern.
In Richtung der Landtage äußerte er Kritik: Die Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union sei sogar im Grundgesetz geregelt, sagte Lammert. Doch nähmen sie ihre originären Rechte bisher nicht wahr. Lammerts Einschätzung: "Die Partizipation der Landtage ist bisher noch eine sehr zarte Pflanze.“