Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2010 > Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft"
Im weltweiten Vergleich liegt Deutschland im Bereich Internet und Internetwirtschaft zurück. Diese Ansicht vertraten mehrere Experten während einer öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission "Internet und digitalisierte Gesellschaft“ am Montag, 5. Juli 2010 zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung in Deutschland. Laut dem aktuellen Bericht des World Economic Forum sei Deutschland in diesem Bereich erneut zurück gefallen und liege nun auf Platz 16, sagte Marie-Thérèse Huppertz vom Software-Unternehmen SAP.
Lars Hinrichs, Gründer des Netzwerks Xing, verwies darauf, dass ganz Europa "hinterherhinkt“. Unter den 100 meistaufgerufenen Internetseiten liege mit der BBC-Homepage lediglich eine europäische. Die erfolgreichste deutsche Seite, Spiegel-Online, finde sich sogar erst auf Platz 142. Aus Sicht des mittelständischen Internetunternehmers Peter Bisa ist man in Deutschland "zu negativ bei der Evaluierung des Phänomens Internet“.
Hinrichs machte die negative Entwicklung auch an Problemen aufgrund des Datenschutzes fest. Datenschutz sei zwar wichtig, doch gerate man mit "Formulierungen, wie wir sie in Europa finden, noch weiter ins Hintertreffen“. Bei jeder Innovation müsse sofort die Frage gestellt werden, ob dies auch erlaubt sei, kritisierte Hinrichs und befand: "Mit den derzeitigen Gesetzen haben wir keine Chance, in der Champions League mitzuspielen.“
Peter Bisa wiederum bewertete den deutschen Datenschutz als "weltweit Spitze“. "Die größere Sicherheit sollten wir auch hervorstellen, etwa unter dem Motto 'Security made in Germany'“, forderte er und sprach in diesem Zusammenhang von "großen Chancen für die deutsche Wirtschaft im Bereich Wachstum und Beschäftigungsentwicklung“.
Um dem IKT-Bereich (Informations- und Kommunikationstechnologien) am Standort Deutschland weitere Chancen zu geben, so die Anregung der SAP-Vertreterin Huppertz, müsse ebenso wie in den Ausbau der Infrastruktur auch in die Bildung und Forschung investiert werden. Das gelte besonders für die "anwendungsnahen Bereiche“, um dort neue Märkte zu erschließen. Damit könne "gar nicht früh genug begonnen werden“, sagte sie. "Wir sollten das nicht den Universitäten überlassen.“
Das Thema "Medienkompetenz“ beschäftigte auch den Medienwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow von der Universität Paderborn. Es brauche eine derartige Wissensvermittlung an den Schulen, sagte er. Allerdings fehle es dazu an geeigneten Lehrern. "Wir müssen an den Hochschulen endlich bessere Lehrer ausbilden“, lautet seine Forderung. Dass dies derzeit nicht getan werde, liege am "Föderalismus in der Bildung“.
Um zu einer besseren Medienkompetenz zu gelangen brauche es nicht unbedingt ein eigenes Schulfach, sagte hingegen der Informatik-Professor Dr. Wolfgang Coy von der Berliner Humboldt-Universität. Gleichwohl müssten junge Menschen zu Datensparsamkeit erzogen werden und die Fähigkeit erwerben, Informationen im Netz zu finden und sie auch bewerten zu können.
In der Frage nach eventuellem Gesetzgebungsbedarf im Bereich des Internets forderte der Medienrechtler Prof. Dr. Thomas Hoeren: "Machen Sie keine Gesetze!“ Selbstregulierung, so Hoeren, sei immer der bessere Weg. Das hätten die "katastrophalen“ Versuche mit dem Zugangserschwerungsgesetz, dem Fernabsatzrecht und dem Arbeitnehmerdatenschutz gezeigt, die nicht nur "inhaltlich problematisch“ gewesen seien, sondern auch "formal unbrauchbar“.
Diese Ansicht stützte auch der Informationswissenschaftler Prof. Dr. Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz. Er habe die Erfahrung gemacht, dass Gesetze nicht dazu führten, "mit Informationen in elektronischen Räumen angemessen umzugehen“, sondern eher dazu, "Verhinderungsstrategien aufzubauen“.
So seien etwa im Urheberrecht in den letzten "zehn, zwanzig Jahren“ in katastrophaler Weise die Weichen zugunsten einer "Kommerzialisierung von Wissen“ gestellt worden. Die eigentlich gebrauchten Freiräume seien hingegen immer weiter eingeschränkt worden.