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Vor einem Jahr hat der Europarat sein 60-jähriges Bestehen gefeiert. Am 5. Mai 1949 hatten Vertreter von zehn westeuropäischen Staaten - Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden - den Vertrag von London, sein Gründungsstatut, unterzeichnet. Ihr Ziel war es, nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, eine europäische Institution zum Schutz der Menschenrechte und zur Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen.
In diesem Jahr jährt sich nun der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat zum 60. Mal: Am 13. Juli 1950 wurde die Bundesrepublik als assoziiertes Mitglied aufgenommen. Was aus heutiger Sicht wie ein selbstverständlicher und logischer Schritt wirkt, war damals jedoch mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
In der Bundesrepublik löste das Bestreben des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU), für Deutschland eine Mitgliedschaft im Europarat zu erwirken, eine heftige politische Kontroverse aus. Und auch der Europarat selbst reagierte auf Adenauers Beitrittsinteresse zunächst mit Skepsis.
Heute steht der Europarat zwar in seiner Bekanntheit weit hinter der Europäischen Union und wird sogar immer wieder mit dem Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, verwechselt. Doch Ende der vierziger Jahre, kurz nach dem Krieg, stellte der Europarat ein Novum dar: Er war die erste zwischenstaatliche europäische Institution überhaupt.
Im Rahmen der von Adenauer verfolgten Westintegrationspolitik bedeutete der Europarat daher auch einen ersten wichtigen Schritt - neben dem Beitritt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der später durch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) abgelösten Europäischen Ruhrbehörde.
Doch ähnlich wie seine gesamte Westbindung in den fünfziger Jahren war auch Deutschlands Weg in den Europarat innenpolitisch heiß umstritten. Nicht nur die Opposition - die SPD unter Führung von Kurt Schumacher - reagierte darauf mit Protest. Auch in der Regierungskoalition gab es viele kritische Stimmen.
Schon in seiner ersten Regierungserklärung vom 20. September 1949 hatte Adenauer angekündigt, dass er eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik im Europarat anstrebe. Sie war eines der vornehmlichsten Ziele seiner frühen Außenpolitik, die insgesamt darauf ausgerichtet war, den durch das Besatzungsstatut beengten außenpolitischen Bewegungs- und Handlungsspielraum für Deutschland zu vergrößern.
Schritt für Schritt versuchte der deutsche Bundeskanzler, den Westalliierten Freiheiten und Selbstständigkeiten für den noch jungen Staat abzuringen. Die Mitgliedschaft im Europarat war aus seiner Sicht eine der ersten Chancen, Deutschland sukzessive zu mehr Gleichberechtigung, Souveränität und Sicherheit zu verhelfen.
So bekundete Adenauer schon früh das deutsche Beitrittsinteresse, welches aber vom Europarat zunächst mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Einen möglichen Beitritt der Bundesrepublik hatte die Vollversammlung bereits im August 1949 als "heikel" eingestuft - war doch der europäischen Geist durch den Nationalsozialismus diskreditiert worden.
Nach längerer Diskussion einigte sich jedoch der Ministerausschuss der Ständigen Kommission des Europarats am 4. November 1949 auf einen Kompromiss. Deutschland sollte als assoziiertes Mitglied aufgenommen werden - doch das Saarland, das seit dem Krieg unter der Oberhoheit Frankreichs stand, sollte ebenfalls diesen Status bekommen. Eine Regelung, auf der Frankreich bestanden hatte.
Dieses Junktim zwischen eigenem Beitritt zum Europarat und der gleichzeitigen Aufnahme des Saarlandes, vor das die Bundesrepublik gestellt wurde, entwickelte sich aber in den Monaten darauf zu einer in Deutschland äußerst emotional diskutierten Frage. Die Herauslösung des Saarlandes hatte das in Besatzungszonen aufgeteilte, staatsrechtlich nicht mehr existente Land hinnehmen müssen. Doch nach der Gründung der Bundesrepublik war das Bewusstsein für die Situation des Saarlandes gewachsen.
Mit der Gleichbehandlung der Bundesrepublik und des Saarlandes durch den Europarat schien nun die eigene, außenpolitisch beschränkte Position umso deutlicher zu werden. Für den Bundeskanzler bedeutete es also einen heiklen Balanceakt zwischen außenpolitischem Zugewinn und dem Vorwurf des nationalen Verrates, auf den Kompromissvorschlag zu reagieren.
Wie Sprengstoff wirkte nämlich in der deutschen Öffentlichkeit, dass die französische Regierung mit der so genannten Saarkonvention gleichzeitig versuchte, die starke Bindung des Saarlandes an Frankreich zu zementieren. So sollte die offiziell autonome Region künftig außenpolitisch durch Frankreich vertreten werden - außerdem sollte Paris auf 50 Jahre die Abbaurechte für die saarländische Kohle erhalten.
Dies löste nicht nur in der Opposition Empörung aus, auch in Adenauers Kabinett stieß die französische Saarpolitik auf Ablehnung. Eine Zustimmung des Bundestages zum Europaratbeitritt schien in dieser Situation völlig ausgeschlossen.
Doch Konzessionen waren unumgänglich: Um die erforderliche Einladung des Europarats zum Beitritt zu bekommen, sah Adenauer sich gezwungen, der assoziierten Mitgliedschaft bei gleichzeitiger Aufnahme des Saarlandes zuzustimmen. Den innenpolitischen Gegenwind ignorierend, ging der Bundeskanzler im März 1950 in die Offensive und sicherte sich die Unterstützung der Alliierten.
Damit kam Bewegung in den Aufnahmeprozess. Bereits im April erhielt Adenauer die ersehnte Einladung vom Europarat, in der Deutschland 18 Sitze in der Beratenden Versammlung angeboten wurden. Unerwarteten Rückenwind bekam der Kanzler auch durch den französischen Außenminister Robert Schuman. Dessen Vorschlag vom 9. Mai 1950 zur Errichtung einer westeuropäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft erleichterte es der Koalition, einen Beitritt zum Europarat zu beschließen - auch wenn es Bedenken gab, dieser könne die Chancen auf eine Wiedervereinigung des Landes reduzieren.
Dies befürchtete auch die SPD, die sich mit einem klaren Nein gegen einen Beitritt stellte. Insbesondere auch die gleichzeitige Aufnahme des Saarlandes bereitete den Sozialdemokraten weiterhin Bauchschmerzen - damit würde dessen Eigenstaatlichkeit anerkannt, argumentierte der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher.
Im Bundestag, der am 15. Juni 1950 über den Beitritt entschied, prallten die gegensätzlichen Positionen mit Verve aufeinander. Letztendlich aber votierten 218 Abgeordnete mit Ja, 151 mit Nein, neun enthielten sich ihrer Stimmen. Der Beitritt war beschlossen. Der Bundeskanzler zeigte sich erleichtert: "Wir haben einen großen Schritt auf dem Weg zu Europa getan."
Bereits zwei Wochen später, am 13. Juli 1950, wurde Deutschland als assoziiertes Mitglied aufgenommen - ebenso wie das Saarland. Doch während der Europarat den assoziierten Status für die Bundesrepublik nach nicht einmal einem Jahr, am 7. April 1951, aufhob und die deutsche Vollmitgliedschaft bestätige, wurde dies im Fall des Saarlandes nicht erwogen.
Adenauers Kurs war erfolgreich: Deutschland kehrte Schritt für Schritt als gleichberechtigtes Mitglied in die europäische Völkergemeinschaft zurück. Der Beitritt zum Europarat aber war das Entrée auf der politischen Bühne Europas.